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Beantwortung der Mündl. Anfrage der SPD zu Bürgerwehren vor Flüchtlingsunterkünften

Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 17. Dezember 2015; Fragestunde Nr. 4

Das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport antwortet namens der Landesregierung auf die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Marco Brunotte und Dr. Christos Pantazis (SPD) wie folgt:

Vorbemerkung der Abgeordneten

1 200 Flüchtlinge sind seit September 2015 in der Lützow-Kaserne in Schwanewede untergebracht, Menschen aus dem Irak und aus Syrien, die vor Krieg und Verfolgung aus ihrer Heimat geflohen sind. In einer Facebook-Gruppe haben sich mehrere Hundert Menschen organisiert, die nach Recherchen von NDR und TAZ gegen die untergebrachten Flüchtlinge hetzen. In dieser Gruppe werden die Flüchtlinge als „Kriminelle“ bezeichnet. Es hat sich eine „Bürger-Patrouille“ in Schwanewede gebildet, die nachts auf Streife geht, um im Umfeld der Unterkunft „Vergewaltiger“, „Einbrecher“ und „Diebe“ abzuschrecken. Organsiert werden Facebook-Gruppe und Bürgerwehr aus rechtsextremen Kreisen. So scheinen Aktive der NPD ebenso wie Mitglieder militanter Neonazi-Gruppen und einer Neonazi-Band („Strafmass“) zu den Verantwortlichen zu gehören.

Auch für Braunschweig-Kralenriede hat sich über Facebook eine „Bürgerwehr Braunschweig“ organsiert. Diese soll Verbindungen in die Rocker-, Hooligan- und rechte Szene haben. Zeitweise sollen sich diese Aktiven auch an der Organisation von „Bragida“ beteiligt haben. Die Bürgerwehr will in einheitlicher Uniform aus „schwarzer Kleidung mit grünem Barrett“ im Umfeld der Landesaufnahmebehörde in Braunschweig aktiv werden.

Vorbemerkung der Landesregierung

Den in der Vorbemerkung der Abgeordneten genannten „Bürgerwehren“ und den hieran beteiligten Personen geht es offensichtlich nicht um Hilfeleistungen und Unterstützungshandlungen, sondern vielmehr darum, Flüchtlinge zu diskreditieren, zu verunglimpfen, einzuschüchtern und zu verängstigen. Ebenso geht es ihnen darum Ängste in der Bevölkerung zu schüren und diejenigen, die die positive Haltung zur Bereitschaft, Flüchtlinge in Niedersachsen aufzunehmen und diesen offen zu begegnen, nachhaltig negativ zu beeinflussen.

Aus diesem Grund ist aus Sicht der Landesregierung das Verhalten der sich an den so genannten Bürgerwehren beteiligenden Personen in dieser aktuellen Situation als widerwärtig und abscheulich zu bezeichnen.

Die Sicherheitsbehörden in Niedersachsen werden die Entwicklung daher weiterhin genau betrachten und soweit sich Anhaltspunkte für von den so genannten „Bürgerwehren“ ausgehende Gefahren oder Straftaten ergeben, konsequent einschreiten.

Der niedersächsische Verfassungsschutz beobachtet im Rahmen der ihm nach dem Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetz zugewiesenen Aufgaben Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Die Eingriffsschwelle für eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz ist gesetzlich klar festgelegt und damit verbindlich für die Arbeit des Verfassungsschutzes. Demnach müssen tatsächliche Anhaltspunkte (§ 5 Abs. 1 NVerfSchG) für eine extremistische Bestrebung vorliegen. Dabei ist für eine entsprechende Zuordnung einer Organisation das Gesamtbild der Organisation maßgebend, d.h. das Zusammenspiel personeller, institutioneller und programmatischer Faktoren, die für ihre Ausrichtung und ihr Auftreten in der Öffentlichkeit prägend sind. Es reicht infolgedessen nicht aus, die Beobachtung einer Organisation nur auf bedenkliche Verlautbarungen eines einzelnen (führenden) Funktionsträgers zu stützen. Verhaltensweisen von Einzelpersonen, die nicht in oder für einen Personenzusammenschluss handeln, sind nach § 4 Abs. 1 Satz 3 NVerfSchG nur dann Bestrebungen nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 NVerfSchG, wenn sie auf Anwendung von Gewalt gerichtet oder aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut des NVerfSchG erheblich zu beschädigen.

Dem niedersächsischen Verfassungsschutz liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass von den, häufig aus dem bürgerlichen Spektrum heraus gebildeten, Protestbewegungen gegen die Asylpolitik der Bundesregierung, an deren Aktivitäten sich auch Politiker demokratischer Parteien beteiligt haben, Bestrebungen im vorgenannten Sinne ausgingen. Aus diesem Grunde unterliegen diese Protestbewegungen nicht der Beobachtung durch den Verfassungsschutz.

Es ist jedoch bekannt, dass Rechtsextremisten versuchen, die in weiten Teilen der Bevölkerung spürbare Verunsicherung für die Verwirklichung ihrer verfassungsfeindlichen Ziele zu nutzen. Ziel ist es dabei, latent vorhandene Ängste vor Überfremdung in der Bevölkerung zu verstärken und für die eigenen Interessen zu instrumentalisieren. Diese Aktivitäten von Rechtsextremisten stehen hingegen sehr wohl im Fokus des Verfassungsschutzes.

1. An welchen Orten in Niedersachsen haben sich nach Erkenntnis der Landesregierung Bürgerwehren im Umfeld von Flüchtlingsunterkünften gegründet bzw. gibt es konkrete Pläne, diese zu gründen?

Seit Anfang November 2015 wirbt die "Bürgerwehr Braunschweig" in einem sozialen Netzwerk, die sich nach eigenen Angaben vorrangig aus Mitarbeitern von Sicherheitsdiensten rekrutiert. Am 15. November 2015 sollte erstmalig ein „Streifengang“ unternommen werden. Dabei sollte in schwarzer Oberbekleidung und mit grünem Barett aufgetreten und ausschließlich Jedermannrechte in Anspruch genommen werden.

Bei Aufklärungsmaßnahmen der örtlichen Polizei in diesem Zusammenhang konnten keine Personen angetroffen werden, die in Form einer „Bürgerwehr“ aufgetreten sind. Der Verfasser der Einträge in dem sozialen Netzwerk konnte bisher ebenfalls nicht ermittelt werden. Die in den Vorbemerkungen der Abgeordneten aufgeführten Verbindungen in die Rocker-, Hooligan- und rechte Szene können vor diesem Hintergrund nicht bestätigt werden. Auf Grundlage der bisherigen Erkenntnisse muss vielmehr davon ausgegangen werden, dass sich in Braunschweig bisher keine Bürgerwehr gegründet hat.

Am 21. August veröffentlichte der Kreisverband Hildesheim der Partei Die Rechte in einem sozialen Netzwerk einen Artikel, in dem angegeben wird, dass Mitglieder des Kreisverbandes in Hoheneggelsen unterwegs gewesen sein und u.a. das dortige Asylbewerberheim begutachtet hätten. Darüber hinaus werden regelmäßige Patrouillen angekündigt, in denen auf angebliche Missstände hingewiesen und für Sicherheit und Ordnung gesorgt werden solle. Anwohner könnten sich auch den Patrouillen anschließen. In der Folgezeit berichte der Kreisverband in unregelmäßigen Abständen über angeblich durchgeführte Patrouillen/Spaziergänge in Hoheneggelsen. Ob die kolportierten Aktionen tatsächlich durchgeführt wurden, konnte seitens der Polizei nicht verifiziert werden.

Darüber hinaus existiert seit dem 25. August 2015 in einem sozialen Netzwerk der Eintrag der „Bürgerwehr Hameln", in dem kritische Themenbeiträge im Zusammenhang mit Flüchtlingen aber auch im Zusammenhang mit Allgemeinkriminalität aus dem örtlichen Bereich veröffentlich wurden. Alle Themenbeiträge wurden aus bestehenden Artikeln der örtlichen Printmedien oder aus veröffentlichten Einträgen in einem sozialen Netzwerk entnommen. Strafrechtlich relevante Inhalte wurden bisher nicht veröffentlicht. Einträge bzw. Aufrufe zu Aktionen im Zusammenhang mit der Flüchtlingsthematik wurden nicht getätigt. Die so genannte Bürgerwehr Hameln ist bisher nicht öffentlich in Erscheinung getreten und hat über den Internet-Auftritt hinaus keinerlei Aktivitäten entwickelt.

Die „Bürger-Patrouille“ Schwanewede ist nach polizeilichen Erkenntnissen seit Anfang Oktober aktiv. Am 6. Oktober erhielt die Polizeiinspektion Verden/Osterholz Kenntnis über die Beobachtung einer achtköpfigen Personengruppe, unter der sich auch als Rädelsführer eine Person, zu der Erkenntnisse aus dem Bereich der Politisch motivierten Kriminalität –rechts vorliegen, befand. Im Verlauf des Oktobers kam es insgesamt in fünf Fällen zum Antreffen durch die Polizei bzw. zu Hinweisen auf Aktivitäten dieser Gruppe. Diese Aktivitäten gestalteten sich im Wesentlichen derart, dass im weiteren Bereich um die Flüchtlingsunterkunft in den dortigen Wohnsiedlungen die Straßen abgegangen wurden. Zum Teil waren die dunkel gekleideten Gruppenmitglieder mit Taschenlampen und Handschuhen ausgerüstet. Lediglich in einem Fall näherte sich diese Personengruppe unmittelbar der Flüchtlingsunterkunft und informierte die Polizei über angeblich verdächtige Gegenstände am Zaun der Unterkunft. Letztmalig wurden Aktivitäten dieser Gruppe am 2. November im Zusammenhang mit einem Bürgerhinweis festgestellt. Nach Erkenntnissen der Polizei handelt es sich bei der so genannten „Bürgerwehr“ um eine Gruppe von zumindest 17 Personen, die in unterschiedlicher Konstellation in der Größenordnung von acht bis zehn Personen tätig wurde. Hierunter befand sich auch der staatsschutzpolizeilich umfänglich bekannte Leadsänger der Rechtsrockband „Strafmass“. Zu sechs der bislang identifizierten Mitglieder der „Bürgerwehr“ liegen allgemeinkriminelle und lediglich zu einer Person staatsschutzrechtliche Erkenntnisse vor. Straftaten im Zusammenhang mit der „Bürgerwehr“ wurden nicht festgestellt.

Ausgangspunkt dieser Gruppe dürfte die Facebook-Seite „Schwanewede & umzu – Wir reden Klartext!“, die mittlerweile mehrere hundert Personen umfasst. Hierunter befinden sich etwa 20 Personen, zu denen polizeiliche Erkenntnisse vorliegen; zu zwei weiteren Personen auch Staatsschutzerkenntnisse. Unter Berücksichtigung des allgemein gehaltenen Namens dieser Facebook-Seite ist davon auszugehen, dass bei vielen Mitgliedern die so genannte „Bürgerwehr“ nicht ausschlaggebend für die Teilnahme an dieser Facebook-Gruppe ist. Die Personenmehrzahl, aus der sich die so genannte „Bürgerwehr“ rekrutiert, dürfte sich nach Bewertung des örtlichen Staatsschutzes eher im niedrigen zweistelligen Bereich befinden.

2. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung über die Beteiligung von Rechtsextremen an den jeweiligen Bürgerwehren?

Der Niedersächsischen Verfassungsschutzbehörde liegen aus den in der Vorbemerkung der Landesregierung genannten Gründen keine eigenen Erkenntnisse über Aktivitäten der sog. „Bürgerwehren“, die sich aus Facebook-Gruppen heraus gebildet haben, vor.

Es existieren jedoch Hinweise darauf, dass inzwischen auch Rechtsextremisten in die Organisation von Aktionen dieser Gruppen eingebunden sind.

Darüber hinaus wird auf die Ausführungen zu Frage 1 verwiesen.

3. Wie schätzt die Landesregierung die Bürgerwehren auch vor dem Hintergrund des staatlichen Gewaltmonopols ein, und wie begegnet sie diesen?

Die Bewahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist und bleibt Aufgabe der Sicherheitsbehörden. Das Gewaltmonopol liegt beim Staat. Fälle von Selbstjustiz werden konsequent unterbunden und verfolgt.

Das „Patrouillieren“ oder sich Aufhalten stellt auch in der Nähe von Flüchtlingsunterkünften noch keinen Straftatbestand dar. Außerhalb strafrechtlich relevanten Verhaltens können Maßnahmen durch die Sicherheits- und Ordnungsbehörden nur bei Vorliegen einer Gefahr auf Grundlage des Niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (Nds. SOG) getroffen werden. Hierbei bedarf es der Beurteilung eines jeden Einzelfalles, bei der die beteiligten Personen, das Auftreten und Verhalten der jeweiligen Gruppe, mitgeführte Gegenstände usw. zu berücksichtigen sind. Sofern von einer so genannten „Bürgerwehr“ ausgehende Gefahren bei einer ihrer „Patrouillen“ festgestellt werden, werden die Sicherheitsbehörden alles Notwendige veranlassen, um den Eintritt schädigender Ereignisse und die Verübung von Straftaten zu verhindern.

Soweit erforderlich, stärkt die Polizei durch verstärkte Präsenz und Streifentätigkeit an und in der Nähe von Unterkünften sowie der Beteiligung an Bürgerinformationsveranstaltungen neben dem Schutz der Flüchtlingsunterkünfte und deren Bewohnerinnen und Bewohner gleichzeitig das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung und wirkt so präventiv der Gründung von und der Beteiligung an „Bürgerwehren“ entgegen.

Presseinformation

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erstellt am:
17.12.2015

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