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Beantwortung der Mündl. Anfrage der CDU zur Situation in Erstaufnahmeeinrichtungen

Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 13. November 2015; Fragestunde Nr. 23

Das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport antwortet namens der Landesregierung auf die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Heidemarie Mundlos (CDU) wie folgt:

Vorbemerkung der Abgeordneten

In einem Schreiben, das der Paritätische Wohlfahrtsverband Hessen, Pro Familia Hessen, der Landesfrauenrat Hessen und die Landesarbeitsgemeinschaft Hessischer Frauenbüros am 18. August 2015 an die frauenpolitischen Sprecherinnen der Fraktionen im Hessischen Landtag gesandt haben, wird auf die Situation in den Erstaufnahmeeinrichtungen und deren Außenstellen insbesondere für Frauen und Mädchen hingewiesen.

Dort ist u. a. zu lesen: „Die Unterbringung in Großzelten, nicht geschlechtergetrennte sanitäre Einrichtungen, nicht abschließbare Räume, fehlende Rückzugsräume für Frauen und Mädchen - um nur einige räumlichen Faktoren zu nennen - vergrößern die Schutzlosigkeit von Frauen und Kindern innerhalb der Erstaufnahmeeinrichtungen. Diese Situation spielt denjenigen Männern in die Hände, die Frauen ohnehin eine untergeordnete Rolle zuweisen und allein reisende Frauen als „Freiwild“ behandeln. Die Folge sind zahlreiche Vergewaltigungen und sexuelle Übergriffe, zunehmend wird auch von Zwangsprostitution berichtet. Es muss deutlich gesagt werden, dass es sich hierbei nicht um Einzelfälle handelt.

Frauen berichten, dass sie, aber auch Kinder, vergewaltigt wurden oder sexuellen Übergriffen ausgesetzt sind. So schlafen viele Frauen in ihrer Straßenkleidung. Frauen berichten regelmäßig, dass sie nachts nicht zur Toilette gehen, weil es auf den Wegen dorthin und in den sanitären Einrichtungen zu Überfällen und Vergewaltigungen gekommen ist. Selbst am Tag ist der Gang durch das Camp bereits für viele Frauen eine angstbesetzte Situation.

Viele Frauen sind - neben der Flucht vor Kriegen oder Bürgerkriegen - auch aus geschlechtsspezifischen Gründen auf der Flucht, wie beispielsweise drohender Zwangsverheiratung oder Genitalverstümmelung. Diese Frauen sind auf der Flucht besonderen Gefährdungen ausgesetzt, insbesondere wenn sie allein oder nur mit ihren Kindern unterwegs sind. Die Begleitung durch männliche Angehörige oder Bekannte sichert jedoch nicht immer Schutz vor Gewalterleben, sondern kann auch zu besonderen Abhängigkeiten und sexueller Ausbeutung führen. Die meisten geflüchteten Frauen haben eine Vielzahl von traumatisierenden Erlebnissen im Herkunftsland und auf der Flucht erlebt. Sie wurden Opfer von Gewalt, waren Entführungen, Folterungen, Schutzgelderpressungen und Vergewaltigung teilweise über Jahre ausgesetzt. Das Gefühl, hier angekommen zu sein - in Sicherheit - und sich angstfrei bewegen zu können, ist für viele Frauen ein Geschenk.

Die aktuelle Situation in der Erstaufnahmeeinrichtung kann jedoch Retraumatisierungen oder neue Traumata hervorrufen. Es kann und darf nicht sein, dass die schutzbedürftigste Gruppe unter den Flüchtlingen, Frauen und Kinder, die größten Leidtragenden in der sicherlich für alle problematischen Situation in der Erstaufnahmeeinrichtung sind.

Daher bitten wir Sie, sich als fraktionsübergreifendes Bündnis unserer Forderung nach der sofortigen Einrichtung von Schutzräumlichkeiten (abgeschlossene Wohneinheiten oder Häuser) für allein reisende Frauen und Kinder - hier unter Berücksichtigung der Beziehungsstrukturen, kultureller und religiöser Aspekte - in der Erstaufnahmeeinrichtung anzuschließen.

Diese Räumlichkeiten müssen so ausgestattet sein, dass Männer keinen Zugang zu den Räumlichkeiten der Frauen haben, ausgenommen sind Rettungskräfte und Sicherheitspersonal. Zudem müssen Schlafräume, Aufenthaltsräume, Küchen und Sanitärräume so verbunden sein, dass sie eine abgeschlossene Einheit bilden - und damit nur über den abschließbaren und überwachten Zugang zum Haus bzw. der Wohnung erreicht werden können.

Für Frauen, die Gewalterfahrungen durchleben mussten, muss der Zugang zum Hilfesystem sichergestellt werden. Hierzu gehört auch, dass ausgebildete Dolmetscherinnen und Dolmetscher für das Hilfesystem kostenfrei zur Verfügung stehen bzw. die Kostenübernahme geregelt ist. Eine angemessene Versorgung von vergewaltigten Frauen sowie von Frauen mit anderen Gewalterfahrungen muss sichergestellt werden.“

Vorbemerkung der Landesregierung

Die Anfrage entspricht im Wesentlichen in ihrem Inhalt der Mündlichen Anfrage Nr. 61 der Abgeordneten Hillgriet Eilers, Sylvia Bruns, Christian Grascha, Almuth von Below-Neufeldt, Björn Försterling, Christian Dürr, Gabriela König und Jan-Christoph Oetjen (FDP) aus dem Oktober-Plenum zu der Situation von Frauen in den Flüchtlingslagern. Insoweit wird vollumfänglich auf die Beantwortung dieser Anfrage verweisen (LT-Drs. 17/4430, S. 90 f.).

1. Inwieweit ist es in den Erstaufnahmeeinrichtungen in Niedersachsen bereits zu sexuellen Übergriffen, Vergewaltigungen und Zwangsprostitution gekommen?

Es wird auf die Beantwortung der Mündlichen Anfrage Nr. 61 (LT-Drs. 17/4430) verwiesen.

In Ergänzung hierzu wird mitgeteilt, dass Zwangsprostitution bislang nicht bekannt geworden ist.

2. Wie stellt sich die Situation für Frauen und Mädchen momentan in den Aufnahmeeinrichtungen des Landes für Flüchtlinge dar?

Die für die übliche Belegung vorgehaltenen Räume sind abschließbar, Sanitäreinheiten sind nach Geschlechtern getrennt. Je nach Standort gibt es Häuser, die rein Frauen und/oder Familien (einschließlich der Männer) vorbehalten sind und in denen Sanitärbereiche und Küchenbereiche innerhalb dieser Häuser vorhanden sind. In anderen Bereichen liegen die Sanitärbereiche der Frauen außerhalb der Wohnstätte, werden aber vom Sicherheitsdienst regelmäßig überwacht. Je nach Belegung ist die separate Unterbringung von – insbesondere allein reisenden – Männern einerseits und Frauen bzw. Familien mit Kindern andererseits mehr oder weniger durchführbar.

Aufgrund der aktuellen Belegungssituation müssen Personen auch in Behelfsunterkünften, wie z.B. Zelten oder Turnhallen untergebracht werden. Die sonst üblichen Unterbringungsstandards können dann nicht eingehalten werden. Auf hinreichende Beleuchtung wird geachtet.

3. Was wird in Niedersachsen getan, falls es zu Übergriffen kommt, wie sie in dem Schreiben an den hessischen Landtag geschildert wurden, bzw. was wurde getan, sollten solche Übergriffe bereits in Niedersachsen erfolgt sein?

Die Fälle werden konsequent, auch strafrechtlich verfolgt.

Betroffene Personen können sich rund um die Uhr an den Sicherheitsdienst wenden, dort sind in der Regel auch weibliche Kräfte tätig. Von dort werden dann Sozialarbeiterinnen oder Sozialarbeiter und die Polizei informiert. Sprachmittlerinnen oder Sprachmittler stehen zur Verfügung. Die Tatverdächtigen werden soweit umsetzbar von den Opfern räumlich getrennt.

Darüber hinaus wird derzeit ein Kinder- und Gewaltschutzkonzept finalisiert und mit den Beteiligten abgestimmt. Es dient dazu, konzeptionell und einheitlich die Beschäftigten in allen Unterkünften des Landes zu sensibilisieren und konkrete Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen.

Presseinformation

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erstellt am:
13.11.2015

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