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Rede des Innenministers Boris Pistorius im Bundestag zur Beratung der von den Fraktionen von CDU/CSU und SPD vorgeschlagenen Änderungen im Asylrecht

Rede Pistorius im Bundestag zum Asylrecht

Sehr geehrter Herr Präsident,

meine Damen und Herren,

wir haben es derzeit mit den seit Generationen größten Flüchtlingsbewegungen nach Europa und insbesondere auch nach Deutschland zu tun. Unser Land lebt zurecht seit Jahrzehnten das Asylrecht als einen wesentlichen Teil seiner Staatsräson. Es entspricht unserer historischen Verantwortung, dass wir unser Möglichstes tun, um Flüchtlingen Sicherheit vor politischer Verfolgung und Krieg zu gewähren.

Seit Beginn des Jahres haben wir ununterbrochen anhaltend hohe Flüchtlingszahlen. Zahlen, die mittlerweile – und ich wähle dieses Wort ganz bewusst – exponentiell zunehmen. Bis vor kurzem konnten wir uns die Ankunft von Menschen in der Größenordnung der letzten Wochen nicht einmal annähernd vorstellen. Die Flüchtlingspolitik in Deutschland wird dadurch eine enorme, vielleicht sogar die Herausforderung der letzten Jahrzehnte. Die Flüchtlingspolitik in Deutschland ist zu einem Kristallisationspunkt der Zukunft dieses Landes geworden und damit auch seiner Politik.

Deshalb habe ich immer wieder nachdrücklich und auch auf Bundesebene unterstrichen, wir haben hier eine nationale, eine gesamtstaatliche, eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu bewältigen.

Lassen Sie mich deshalb zunächst feststellen: Viele Menschen, Haupt- und Ehrenamtliche auf allen Ebenen, in den Ländern, in den Kommunen und beim Bund leisten Großartiges. Und noch etwas: Unser Land hat bei der Bewältigung dieser Aufgabe schon viel mehr geleistet hat, als von so manchem Berufspessimisten in diesem Land erwartet.

Allerdings ist es Realismus und nicht Pessimismus, wenn wir feststellen müssen, wir sind an einem Punkt angelangt, an dem wir uns ehrlich sagen müssen: Es gibt Grenzen der Aufnahmegeschwindigkeit und der Aufnahmezahl, selbst trotz des großartigen Engagements in unserem Land, und damit rede ich nicht der Parole das Wort, das Boot sei voll.

Wir haben eine rechtliche, eine menschliche Verpflichtung, unser Asylsystem nach allen Kräften des Staates und der Gesellschaft arbeits- und funktionsfähig zu halten. Wir müssen begreifen, unser Asylrecht kann nur dann effektiv wirken, wenn wir seine Grenzen respektieren - Grenzen, die trotz aller menschlich möglichen Anstrengungen erkennbar und in Teilen erreicht und überschritten sind.

Deswegen sage ich sehr deutlich, der Gesetzentwurf des Bundesinnenministers schwächt nicht das Recht auf Asyl. Richtig umgesetzt und richtig beraten kann es einen Beitrag dazu leisten, seine Gewährleistung zu sichern.

Auch wenn wir uns verantwortungsethisch verhalten, verhalten wir uns ethisch! Das sage ich allen, die leider die Augen vor der Realität verschließen!

Ein großer Schritt, ein wichtiger Schritt, aber eben nur ein Schritt von vielen notwendigen ist das heute hier vorliegende Gesetzespaket. Ich bin allen Beteiligten - insbesondere der Bundesregierung, den sie tragenden Fraktionen und den Ministerpräsidenten der Länder - sehr dankbar, dass sie sich beim Flüchtlingsgipfel über Maßnahmen verständigen konnten, die die Flüchtlingspolitik ordnen helfen können und müssen, strukturieren und Länder und Kommunen finanziell entlasten.

Ebenso wichtig wie die finanzielle Entlastung der Länder und Kommunen ist die zumindest vorübergehende Beseitigung bürokratischer Hemmnisse, die die zügige Inbetriebnahme dringend benötigter Unterkünfte behindern. Ich sage deshalb auch Danke dafür, dass die niedersächsische Bundesratsinitiative bereits vor ihrer Beschlussfassung Umsetzung erfahren hat, das erlebt man auch nicht alle Tage.

Aber meine Damen und Herren, wo es Licht gibt, da gibt es auch Schatten. Die Länder müssen sich darauf verlassen können, dass die Bundesregierung die Verabredungen des Gipfels umsetzt, nicht mehr und nicht weniger. Das heißt, wir müssen den getroffenen Vereinbarungen trauen können, und ich will nur drei Stichpunkte nennen, über die wir werden reden müssen: Das sind die nicht vereinbarten Verschärfungen beim Zugang zur Härtefallkommission, das ist die Frage der Ermessensausübung, ob Sachleistungen an die Stelle von Geldleistungen treten, das ist nämlich keineswegs so, wie sich der ein oder andere das vorstellen mag. Aber der Dreh- und Angelpunkt ist – und entschuldigen Sie den Ausdruck – die naive Annahme, man könnte durch Gesetz beschließen, Menschen länger in Erstaufnahmeeinrichtungen zu lassen, weil sie aus sicheren Herkunftsstaaten kommen oder Asylfolgeantragsteller sind. Letzteres ist übrigens ebenfalls nicht Gegenstand der Vereinbarungen von letzter Woche. Und ich sage Ihnen, ein Blick in die Erstaufnahmeeinrichtungen wird Ihnen zeigen, die Aufnahmeeinrichtungen sind auf Sicht nicht in der Lage, die hinzukommenden Menschen aufzunehmen, aber erst recht nicht in der Lage, die Menschen dann auch noch länger drin zu lassen bis zu ihrer Rückführung, die aus sicheren Herkunftsländern kommen. Das werden wir auf Sicht nicht leisten können, und das muss allen klar sein.

Die Kapazitäten sind erschöpft und es ist illusorisch anzunehmen, dass niedersächsische, hamburgische oder bayerische oder gar kommunale Modelle die Probleme lösen können.

Es ist illusorisch anzunehmen, dass wir die nächsten Wochen ohne eine erneute große Kraftanstrengung aller staatlichen Ebenen bewältigen können. An dieser Stelle Dank an die Bundeswehr übrigens, die hervorragend unterstützt an vielen Standorten, ohne die wir viele Dinge nicht mehr leisten könnten. Und deswegen sage ich unter Betrachtung dieses Gesetzespaktes: Wir sind nicht am Ende der Lösungen, wir sind nicht am Ende der Diskussionen, wir stehen am Anfang einer riesigen Aufgabe. Und deswegen brauchen wir auch das Bekenntnis, dass es ebenso illusorisch wäre, zu glauben, die größtenteils ehrenamtlich tätigen Angehörigen der Hilfsorganisationen könnten noch Monate so weitermachen, das können sie nicht. Gleiches gilt für die Hauptamtlichen und für viele andere mehr.

Und es ist illusorisch anzunehmen, dass die Fluchtursachen hinreichend bekämpft seien, dass die Unterstützung für die Flüchtlingslager im Nahen Osten mit den beschlossenen Maßnahmen der EU auch nur annähernd ausreichend wäre und die Verteilung der Flüchtlinge in der EU auch nur ansatzweise befriedigend gelöst wäre.

Meine Damen und Herren, damit komme ich zum Schluss:

Es ist illusorisch anzunehmen, dass wir keinen europäischen oder bundesdeutschen Plan B bräuchten für den Fall, dass die Zahlen der Flüchtlinge weiter steigen und wir den Unterbringungsnotstand feststellen müssen. Dieses Land und seine Menschen haben in dieser Situation bis jetzt schon Großartiges geleistet. Wir haben mehr geschafft als viele für möglich gehalten haben.

Um die tagtägliche und in diesem Falle äußerst sinnvolle und menschlich wertvolle Sisyphosaufgabe zu meistern, braucht unser Land aber weitere große und noch größere Anstrengungen. Noch größere Taten der Länder und Kommunen, aber besonders deutlich operative Taten des Bundes auch bei der Flüchtlingsunterbringung und der Steuerung der Ströme. Und meine Damen und Herren, wenn wir sagen, wir schaffen das, dann wollen die Menschen von uns hören, was genau wir schaffen und wieviel. Und vor allem wollen sie wissen, wie wir es schaffen.

Vielen Dank!

Presseinformation

Artikel-Informationen

erstellt am:
01.10.2015
zuletzt aktualisiert am:
02.10.2015

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