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Beantwortung der Dringl. Anfrage der Fraktion der CDU zu Rückführungserlassen

Sitzung des Nds. Landtages am 17. September 2015; TOP 13 a) Dringliche Anfragen


Das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport antwortet namens der Landesregierung auf die Dringliche Anfrage der Fraktion der CDU wie folgt:

Vorbemerkung der Landesregierung:

Mit der Regierungsübernahme wurde der Abschiebungsvollzug aus guten Gründen neu justiert. Die Abschiebung ist als solche eine derart einschneidende Zwangsmaßnahme, dass die Landesregierung es nach wir vor für richtig hält, Humanität in den Mittelpunkt zu stellen und alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um die freiwillige Ausreise zu erreichen, ohne dass es dieses Zwangsmittels bedarf. Das heißt aber nicht, dass geltendes Recht nicht vollstreckt würde. Es geht nicht um das „Ob“, sondern um das „Wie“ der Abschiebung.

Was die Abschiebungspraxis, insbesondere was die Ankündigung von Abschiebungen, angeht, haben wir mit dem Rückführungserlass dafür Sorge getragen, dass die Belastungen für die Betroffenen trotz des Vollzugs so gering wie möglich ausfallen. Die entsprechenden Hinweise und Vorgaben an die Ausländerbehörden sollen sicherstellen, dass die zur Ausreise verpflichteten Menschen ausreichend Zeit erhalten, sich auf die Rückkehr vorzubereiten und ihre Angelegenheiten in Deutschland zunächst abwickeln zu können.

Dies ist nur möglich, wenn den Betroffenen der Termin für die geplante Aufenthaltsbeendigung gemäß den Vorgaben des Rückführungserlasses benannt wird. Im Übrigen ist der Rückführungserlass nicht starr, sondern enthält natürlich auch Spielräume für die Ausländerbehörden.

Mit dem Blick auf Quoten oder Vergleiche verliert man leicht aus dem Blick, dass es hier um Menschen und individuelle Schicksale geht und dass überraschende nächtliche Abschiebungen insbesondere Kinder schwer traumatisieren können.

Die Förderung einer freiwilligen Ausreise in das Herkunftsland steht in Niedersachsen nach wie vor an erster Stelle. Diejenigen, die diese Chance einer selbstbestimmten Rückkehr nicht nutzen, müssen jedoch abgeschoben werden. Es handelt sich um eine zwingende Rechtsfolge; die Ausländerbehörden sind gesetzlich verpflichtet, in diesen Fällen die zwangsweise Aufenthaltsbeendigung einzuleiten. Es geht, wie schon gesagt, hierbei grundsätzlich nicht um das „Ob“, sondern das „Wie“ einer Abschiebung.

Das „wie“ haben wir mit dem Rückführungserlass im Lichte des humanitären Ansatzes der Landesregierung in der Ausländer- und Asylpolitik ausgestaltet. Die Regelungen fußen dabei auf der bislang ganz überwiegenden Fallkonstellation, dass sich die Betroffenen längere Zeit in Deutschland aufhalten, und nicht selten auch – ohne dass dies zu einem Bleiberecht geführt hätte – gewisse Integrationsleistungen erbracht haben.

Die Regelung, die Abschiebung im ersten Anlauf anzukündigen, berücksichtigte dabei insbesondere auch, dass jemand, der schon längere Zeit hier lebt, einfach auch die Möglichkeit bekommen soll, seine Angelegenheiten regeln zu können, bevor er das Land verlässt.

Sobald aber die erhebliche personelle Aufstockung beim BAMF - die Maßnahmen dafür sind ja bereits, wenn auch immer noch nicht im ausreichenden Umfange, auf dem Weg - tatsächlich zu dem erhofften Ziel führt, dass Entscheidungen schneller getroffen werden, wollen wir nach ablehnenden Entscheidungen für eine Beschleunigung der Rückführung sorgen.

In den Fällen, in denen das Asylverfahren und damit der Aufenthalt in Deutschland nur von kurzer Dauer war, die betroffene Person die Erstaufnahmeeinrichtung z. B. noch gar nicht verlassen hat, in jedem Fall aber erst so kurze Zeit in Deutschland ist, dass eine Integration unter normalen Umständen noch nicht stattgefunden haben kann, sind die grundlegenden Rahmenbedingungen andere als die, die unseren Bestimmungen zu den Rückführungsmodalitäten und den Härtefallverfahren zugrunde lagen.

Als Ergebnis der von mir veranlassten Evaluation werden wir deshalb ergänzende verfahrensmäßige Vorgaben zur Durchführung des Rückführungs- und Rücküberstellungsvollzugs und zur Durchführung des Härtefallverfahrens nach § 23 a des Aufenthaltsgesetzes bei kurzzeitigem Aufenthalt sowie Änderungen der Härtefallkommissionsverordnung auf den Weg bringen.

Aufgrund der geänderten Sachlage sollen im Einzelnen folgende Anpassungen der o. g. Runderlasse für eine erst kurze Aufenthaltsdauer erfolgen:

Auf die Bekanntgabe des Abschiebungstermins kann bei Einzelpersonen, deren aktuelle Aufenthaltsdauer in Deutschland bis zum Zeitpunkt des in Aussicht genommenen Abschiebungstermins nicht mehr als 18 Monate beträgt, abweichend von den Vorgaben des Rückführungserlasses verzichtet werden.

Damit bekommen die Ausländerbehörden einen klaren Handlungsrahmen für diese Fälle und gleichzeitig den in Einzelfällen vielleicht erforderlichen Spielraum, im eigenen Ermessen anders zu entscheiden. Entscheidend dabei ist die Umkehrung des Regel-Ausnahme-verhältnisses.

Bei Familien oder alleinerziehenden Elternteilen mit schulpflichtigen oder minderjährigen Kindern verbleibt es allerdings bei der Bekanntgabe des ersten in Aussicht genommenen Abschiebungstermins. Im Übrigen werden die Regelungen des Rückführungserlasses unberührt bleiben.

Dies gilt insbesondere für die besonderen Schutzvorschriften für Familien, den Vorrang der freiwilligen Rückkehr wie auch im Hinblick auf Abschiebungen, für die der Abholungstermin zwischen 21.00 Uhr und 06.00 Uhr morgens des Folgetages in der Winterzeit bzw. 04.00 Uhr in der Sommerzeit terminiert ist.

  1. Abweichend vom sog. Härtefallverfahrenserlass soll bei ausreisepflichtigen Personen, deren aktuelle Aufenthaltsdauer in Deutschland bis zum Zeitpunkt der Duldungserteilung nicht mehr als 18 Monate beträgt, die Verpflichtung zur Belehrung über die Möglichkeit und das Verfahren für die Anrufung der Härtefallkommission entfallen. Allein dadurch können sich erhebliche Verkürzungen der Aufenthaltsdauer ergeben.
  2. Wir werden die Härtefallkommissionsverordnung ändern. Hier wird der Katalog der absoluten Nichtannahmegründe in § 5 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung erweitert. Ausländerinnen und Ausländer, die sich noch nicht 18 Monate im Bundesgebiet aufhalten, wird zukünftig der Zugang grundsätzlich verwehrt sein. Nur unter engen Voraussetzungen wird es hier Ausnahmen geben. Im Ergebnis wird damit die bisherige ständige Entscheidungspraxis der Kommission festgeschrieben. Verfahren, die im Ergebnis auch heute regelmäßig ohne Erfolg bleiben, werden vermieden.

Auch werden wir zukünftig nicht mehr in jedem Falle eine wiederholte Belehrung vorsehen: Damit kann eine Eingabe bei einem bereits feststehenden Termin für die Rückführung als unzulässig erachtet werden.

Eine nochmalige Belehrung wird hierfür nur noch dann erforderlich sein, wenn sich nach der ersten Belehrung noch ein deutlich längerer Aufenthalt in Deutschland anschließt, die Aufenthaltsbeendigung also beispielsweise aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen nicht erfolgen konnte, sodass weiterhin Duldungen zu erteilen waren.

Zur Frage 1:

Die Landesregierung wird auf die besondere Situation reagieren, die eintreten wird, wenn das BAMF – so wie längst eingefordert – regelmäßig über Asylanträge sehr viel schneller als bislang entscheidet mit der Folge, dass eine hohe Anzahl von Menschen nach einer sehr kurzen Aufenthaltsdauer in Deutschland vollziehbar ausreisepflichtig wird.

In einem Gespräch mit den Vertretern der Arbeitsgemeinschaft der Kommunalen Spitzenverbände hatte ich erste Überlegungen bereits angesprochen. Die Kommunalen Spitzenverbände haben diese Anregungen dankenswerterweise aufgenommen, gemeinsam mit den Ausländerbehörden gespiegelt und in einem Schreiben vom 10. September detailliert und konstruktiv Stellung genommen.

Darin schlagen die Kommunalen Spitzenverbände Anpassungen an zwischenzeitlich erfolgte Rechtsänderungen vor, regen Klarstellungen an und tragen bestimmte Überlegungen zur Veränderung der Rückführungs- und Belehrungspraxis vor. Zugleich hat die Arbeitsgemeinschaft der Kommunalen Spitzenverbände deutlich gemacht, dass sich der Grundsatz der freiwilligen Rückkehr in der Praxis bewährt hat und dass die Pflicht zur Belehrung über das Härtefallverfahren nach wie vor grundsätzlich zu begrüßen ist. Diese Rückmeldungen haben wir in unsere bisherigen Überlegungen einbezogen.

Unsere jetzigen Vorschläge und die noch offenen Aspekte werden wir im weiteren Dialog mit der Arbeitsgemeinschaft der Kommunalen Spitzenverbände erörtern und alsbald die Verfahren zu dem o. g. Erlass bzw. zur Änderung der Härtefallkommissionsverordnung einleiten.

Zur Frage 2:

Mit Stand 31.07.2015 halten sich in Niedersachsen 18.214 Personen auf, die ausreisepflichtig sind.

Bei 14.301 Personen ist der Vollzug der Abschiebung allerdings aus zwingend zu beachtenden Gründen vorübergehend ausgesetzt (Duldung). Solche Gründe können tatsächlicher oder rechtlicher Natur sein.

Häufige Gründe sind Reiseunfähigkeit, ungeklärte Herkunft, fehlende Reisedokumente oder familiäre Bindungen, die eine Trennung im Einzelfall unverhältnismäßig erscheinen lassen wie z. B. bei pflegebedürftigen Angehörigen.

In diesen Fällen ist von Gesetzes wegen die Abschiebung auszusetzen und eine Duldung zu erteilen.

Weiterhin ist bei den verbleibenden 3.913 Personen zu berücksichtigen, dass in vielen Fällen die Ausreisepflicht z. B. wegen anhängiger Gerichtsverfahren noch nicht vollziehbar oder die Ausreisefrist noch nicht abgelaufen ist und somit eine Abschiebung noch nicht eingeleitet werden kann.

Zur Frage 3:

In ihrem Bericht setzt „Die Welt“ – fachlich nicht nachvollziehbar – die Anzahl erfolgter Abschiebungen in den einzelnen Bundesländern ins Verhältnis mit der Anzahl aller Asylanträge, die in dem gleichen Zeitraum eingereicht wurden – einschließlich derer, die im Ergebnis zur Anerkennung führen.

Asylverfahren dauern jedoch nicht selten bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung mehrere Jahre, und auch danach geht bis zu einer Abschiebung aus den verschiedensten Gründen – fehlende Reisedokumente, ungeklärte Herkunft, Reiseunfähigkeit usw. – weitere Zeit ins Land. Diese Zahlen miteinander ins Verhältnis zu setzen und dann zu vergleichen, ist nicht nur statistisch fragwürdig, sondern bringt in der Sache kein Stück voran. Die Quoten sind mit Vorsicht zu genießen – das räumt „Die Welt“ selbst ein.

Zweitens: Die Fokussierung auf die Abschiebungsquote wird der Sache nicht gerecht. Die Landesregierung hat sich mit guten Gründen für einen Paradigmenwechsel in der Ausländer- und Asylpolitik entschieden und verfolgt damit eine Reihe von Zielen, in weiten Teilen durchaus auch im Konsens mit allen im niedersächsischen Landtag vertretenen Fraktionen.

Wir wollen in bestimmten Bereichen Erleichterungen für Menschen, die hier ernsthafte Integrationsbemühungen unternehmen und eine Bleibeperspektive verdienen; ich verweise nur auf die Regelung zur Duldung für jugendliche Auszubildende, die wir bereits im Vorgriff auf die bundesgesetzliche Regelung in Kraft gesetzt haben, oder auf die Duldungen, die im Vorgriff auf die stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung des Bundes ausgesprochen wurden.

Drittens: Die Landesregierung will keinen Wettbewerb um die höchste Abschiebungsquote. Wir sollten uns hüten – jetzt, da die Zugangszahlen stark steigen – unsere für richtig erachteten Grundsätze über Bord zu werden und sollten uns nicht dazu verleiten lassen, künftig nur noch auf Zahlen statt auf Menschen zu schauen. Was wir wollen, ist konsequente Rückführung – aber eben erst, nachdem die Möglichkeiten zur freiwilligen Rückkehr ausgeschöpft wurden und unter Beibehaltung des humanitären Grundansatzes, den wir nach wie vor für richtig erachten.

Diese Humanität werden wir auch in Zukunft nicht opfern. Das ist Ausdruck unserer Überzeugung, dass auch eine so einschneidende Maßnahme wie die Abschiebung in einer Weise garantiert sein muss, die dem individuellen Schicksal würdig und angemessen ist.

Presseinformation

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erstellt am:
17.09.2015

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