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Änderung des Niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung und des Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes

Es gilt das gesprochene Wort!

Rede des Innenministers Boris Pistorius in der Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 29.05.2013; TOP 7 zum Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und der Fraktion Bündnis90/Die Grünen.

Sehr geehrte Damen und Herren,
die Bestandsdatenabfrage ist kein neues Instrument der Polizei und des Verfassungsschutzes. Sie ist schon gegenwärtig ein vielfach eingesetztes und ganz wesentliches Mittel, das häufig den einzigen Ansatz zur Gewinnung der erforderlichen Erkenntnisse darstellt, beispielsweise

• zur Aufklärung extremistischer Strukturen,
• zur Verhinderung von Suiziden und Amokläufen sowie
• zum Auffinden von vermissten Personen.

Konkret geht es dabei beispielhaft um Fälle wie diese:
• Für ein im Geheimen vorbereitetes Rechtsrockkonzert wird anonym über SMS
geworben; über den Anschlussinhaber können Erkenntnisse über den Veranstalter,
Veranstaltungsort und -zeit gewonnen werden.
• Aus einem jihadistischen Netzwerk im Ausland heraus findet regelmäßiger Kontakt zu
einem deutschen Telefonanschluss statt. Über den Anschlussinhaber können Kontakte
und Verbindungen des Netzwerks in die Bundesrepublik Deutschland ermittelt werden.
• Eine Minderjährige wird nach einem Streit im Elternhaus als vermisst gemeldet; es
bestehen Anhaltspunkte, dass auf dem zurückgelassenen Mobiltelefon Daten
gespeichert sind, die Aufschluss über ihren Aufenthaltsort geben.
• In einem Internetchat kündigt eine unter einem Pseudonym auftretende Person an, sich
töten zu wollen. Die Zuordnung der IP-Adresse liefert einen Ansatzpunkt für die
rechtzeitige Verhinderung des Suizids.
In solchen Fällen ist die Bestandsdatenabfrage zur Aufdeckung extremistischer Strukturen und zur Gefahrenabwehr ein geeignetes und wirksames Mittel, das – wie auch das Bundesverfassungsgericht hervorhebt – nur in geringem Maße in die Rechte der betroffenen
Personen eingreift.
Was passiert bei einer Bestandsdatenabfrage:
Auf Anforderung der Polizei oder des Verfassungsschutzes ist ein Telekommunikationsunternehmen verpflichtet, Auskunft über die sog. Bestandsdaten eines
(Telekommunikations-) Teilnehmers zu erteilen.
Das sind die Daten, die für die Begründung oder inhaltliche Ausgestaltung eines Vertragsverhältnisses über Telekommunikationsdienste erforderlich sind.
Hierzu zählen Name, Anschrift, Anschlussnummer, Passwörter, PIN und PUK.
Um es nochmals deutlich zu sagen: Anhand dieser Abfragen erfolgt weder eine Überwachung von Gesprächsinhalten, noch eine Auswertung des Telekommunikationsverhaltens oder eine Ortung von mobilen Telefonen, Laptops oder dergleichen. Vielmehr gleicht die Bestandsdatenabfrage in etwa einer Telefonbuchauskunft.
Eine Neuregelung der Bestandsdatenabfrage ist erforderlich, weil das Bundesverfassungsgericht im vergangenen Jahr entschieden hat, dass eine Befugnis für die
sogenannte Bestandsdatenabfrage in den jeweiligen Fachgesetzen des Bundes und der Länder zu regeln ist.
Die bisherige Praxis, nach der Bestandsdatenabfragen allein auf das Telekommunikationsgesetz des Bundes gestützt werden, ist nicht mit der Verfassung vereinbar
und darf nur noch für eine Übergangszeit bis Mitte des Jahres fortgeführt werden.
Der vorliegende Gesetzentwurf der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis90/Die Grünen setzt dabei die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in vorbildlicher Weise um.
Es sollen drei unterschiedliche Varianten der Bestandsdatenabfrage geregelt werden:
1. Die einfache Bestandsdatenabfrage ist darauf gerichtet, durch Auskunftserteilung des Telekommunikationsdiensteanbieters anhand einer Anschlussnummer einen
Anschlussinhaber oder umgekehrt die für eine bestimmte Person registrierten Anschlüsse zu ermitteln.
2. Die Abfrage von Zugangssicherungscodes – zum Beispiel PIN oder PUK – ist eine
vorbereitende Maßnahme, der sich immer eine weitere Maßnahme anschließt, beispielsweise das Auslesen der auf einem sichergestellten Mobiltelefon gespeicherten
Daten. Eine Abfrage von Zugangssicherungscodes ist daher nur dann zulässig, wenn zugleich die Voraussetzungen für die Anschlussmaßnahme erfüllt sind.
3. Schließlich berücksichtigt der Gesetzentwurf, dass Telekommunikation heute vielfach über das Internet erfolgt. Für Internet-basierte Telekommunikation kann die
Bestandsdatenabfrage nur über die Zuordnung dynamischer IP-Adressen erfolgen. Dem wird mit einer ausdrücklichen Regelung Rechnung getragen.
Ich unterstütze den vorliegenden Gesetzentwurf der Fraktion von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Gegenüber der bisherigen Rechtslage wird der Schutz der Rechte der betroffenen Personen deutlich verbessert.
Für die Abfrage von Zugangssicherungscodes sowie für die Zuordnung dynamischer IPAdressen ist ein Richtervorbehalt beziehungsweise ein Entscheidungsvorbehalt der G10-Kommission vorgesehen.
Zudem ist in diesen Fällen eine Bestandsdatenabfrage zur Gefahrenabwehr nur bei Vorliegen einer gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person zulässig. Zugleich werden Polizei und Verfassungsschutz weiterhin in die Lage versetzt, ihren gesetzlichen Aufgaben wirksam und mit verhältnismäßigen Mitteln nachzugehen. Der Gesetzentwurf schafft einen ausgewogenen und praxisgerechten Interessenausgleich.

Artikel-Informationen

erstellt am:
30.05.2013

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