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Humane Flüchtlingspolitik – gesamtstaatliche Aufgabe und gemeinsame Verantwortung

Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 16.12.2014; TOP 18 b - Rede von Innenminister Boris Pistorius zum Antrag der Fraktion der SPD


Es gilt das gesprochene Wort!


Sehr geehrter Herr Präsident,

meine sehr geehrten Damen und Herren!

immer mehr Regionen entwickelten sich in den letzten Jahren weltweit zu Kriegs- und Krisengebieten. Die Lage ist dramatisch, insbesondere in Syrien und im Irak, und sie wird immer beunruhigender. Immer mehr Menschen werden gezwungen, ihre Heimat hinter sich zu lassen. Sie kommen aus purer Angst um ihr Leben nach Europa, auch nach Deutschland und Niedersachsen. Das Leid in ihren Heimatländern macht uns zutiefst betroffen! Und ich spreche damit nicht nur für die Landesregierung, sondern auch für die große Mehrheit der Bevölkerung. Das stelle ich immer wieder fest, wenn ich durch unser Land reise. Die Empathie und Solidarität gegenüber Flüchtlingen sind so groß wie lange nicht. Ich betone das nicht trotz, sondern auch wegen der jüngsten Geschehnisse um die sogenannte Pegida.

Natürlich ist es erschreckend, dass es den äußerst fragwürdigen, teilweise sogar vorbestraften Initiatoren gelungen ist, mit einem Sammelsurium an seltsamen Forderungen so viele Menschen zu versammeln. Man darf das nicht einfach verharmlosen oder abtun, denn es sind eben nicht nur stumpfe Rechtsextreme, die da mitlaufen. Ich möchte hier aber klar und deutlich an die Selbstverantwortung jedes Einzelnen appellieren: Man muss sehr genau darauf achten, hinter was für Leuten man herrennt.

Man darf sich nicht einfach vor einen Karren spannen lassen, der vom Wolf im vermeintlichen Schafspelz gezogen wird. Wer mitläuft, begibt sich in Mithaftung, das muss jedem klar sein. Ich teile jedenfalls nicht die Auffassung, dass es sich hier um einen normalen bürgerlichen Protest handelt, für den man Verständnis aufbringen sollte. Man beachte nur einmal, welches Gedankengut im Umfeld der Pegida wachsen und gedeihen kann. Auf Demonstrationen war bereits der Ausruf „Lügenpresse, halt die Fresse“ zu hören. Auf der Internetseite der Pegida finden sich zum Teil abartige Kommentare, es wird dort von ich zitiere „eingebürgerten Anatoliern oder deren Brut“ - Zitat Ende - gesprochen oder von - ich zitiere - „Asylanten-Gewäsch“. Ein Demonstrationsteilnehmer sagte in einem Fernsehinterview, als er auf gemäßigte Muslime angesprochen wurde, ich zitiere: „ Die kommen her, hier bin ich, kümmert euch um mich. 5 Kinder kommen noch dazu. Die haben dann alle Krankheiten an der Backe und die werden dann hier auskuriert.“ Das zeigt, welcher menschenverachtende Geist in Teilen der Bewegung zirkuliert. Deshalb sage ich: Natürlich müssen wir auf mögliche Sorgen in der Bevölkerung eingehen, sofern sie berechtigt wären. Wir dürfen dabei aber nicht die kruden Thesen der Pegida zu Fakten erklären, sondern wir müssen vielmehr aufklären.

Wir haben es mit einer diffusen Angst zu tun, der wir begegnen müssen. Gerade in einem Land wie Sachsen mit über 4 Mio. Einwohnern kann doch von einer Islamisierung keine Rede sein, wenn dort gerade einmal 28.000 Muslime leben. Und wo außerhalb Sachsens finden Sie Vergleichbares? Das ist doch nicht das Gesicht der bundesdeutschen Öffentlichkeit!

Auch wenn diese Bewegung leider einen nicht unerheblichen Zulauf versammelt hat, möchte ich klar feststellen: Die übergroße Mehrheit im Land ist solidarisch mit den Flüchtlingen. Sie erkennen, welch große Not diese Menschen aus ihrer Heimat davongetrieben hat, und viele von ihnen unterstützen sie selbst aktiv und vorbildlich.

Auch bei uns in Niedersachsen engagieren sich zahlreiche Menschen ehrenamtlich, um Flüchtlingen vor Ort zu helfen. Die Integrationslotsinnen und Integrationslotsen leisten zum Beispiel eine unschätzbare Arbeit. Das Land Niedersachsen unterstützt ihren Einsatz. Wir finanzieren ihre Aus- und Fortbildung. Und wir haben Koordinierungsstellen für Migration und Teilhabe geschaffen, um die Ehrenamtlichen gezielter zu unterstützen und stärker in die einzelnen öffentlichen Lebensbereiche einzubinden.

Für die Landesregierung ist eines sehr wichtig: Wenn wir uns mit der Situation von Flüchtlingen befassen, dann darf es nicht nur darum gehen, Aufgaben abzuarbeiten oder Verpflichtungen zu erfüllen. Es muss darum gehen, die Menschen willkommen zu heißen! Wir können selbstbewusst sagen: Niedersachsen war ein Motor für die humanitäre Aufnahme syrischer Flüchtlinge. Über diese Bundesprogramme werden insgesamt 20.000 Flüchtlinge in Deutschland Schutz finden. Dazu kommen noch über 10.500, denen es im Rahmen der 15 Länderkontingente ermöglicht wird, zu ihren hier lebenden Angehörigen einzureisen. Das Land hat außerdem eine Regelung zur Übernahme der Kosten für Krankheit, Schwangerschaft und Geburt sowie Pflegebedürftigkeit und Behinderung gefunden. Sie kommt Syrerinnen und Syrern zugute, die im Rahmen des Landesaufnahmeprogramms eingereist sind.

Wir werden im kommenden Jahr die Personalkapazitäten in der Landesaufnahmebehörde aufstocken. In Osnabrück soll sehr bald ein vierter Standort der Landesaufnahmebehörde entstehen. Das wird unsere Kommunen entlasten. Sie leisten einen sehr großen, kraftvollen Beitrag in der Flüchtlingspolitik. Sie bringen die Menschen unter, versorgen sie und integrieren sie im besten Wortsinne in die örtliche Gemeinschaft ein. Das alles erfordert bei steigenden Zugangszahlen und teilweise knapper werdendem Wohnraum immer mehr Anstrengungen. Unsere Kommunen machen das überaus engagiert. Dafür sind wir ihnen sehr dankbar. Und wir lassen sie dabei keinesfalls allein. Wir werden die Kostenabgeltungspauschale zum 1. Januar erhöhen. Und auch die Erweiterungen in der Landesaufnahmebehörde werden die Kommunen entlasten. Sie bekommen dadurch mehr Zeit für die Unterbringung. Das Land und die Kommunen werden weiter eng zusammenarbeiten. Wir sind uns mit den Kommunalen Spitzenverbänden sehr schnell über die Verteilung der Bundesmittel für 2015 und 2016 einig geworden. Fast 90% davon fließen direkt an die Kommunen. Die Einigung verlief überaus schnell und konstruktiv, übrigens auch im Ländervergleich.

Sie sehen also: Diese Landesregierung hat schon vieles erreicht, soweit es unser Handlungsspielraum zulässt. Wir ruhen uns hier aber nicht auf dem aus, was wir erreicht haben, sondern wir wollen diesen Bereich und die Willkommenskultur immer weiterentwickeln. Ich befürworte deshalb sehr die Idee von der SPD-Fraktionsvorsitzenden für einen Flüchtlingsgipfel, bei dem alle Beteiligten an einen Tisch geholt werden.

Ich finde aber, wir müssen uns bundesweit über eines klar werden: Flüchtlingspolitik ist eine der größten globalpolitischen Herausforderungen dieses Jahrzehnts, möglicherweise noch darüber hinaus. Flüchtlingspolitik ist damit eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, eine nationale Aufgabe und damit eben auch eine Aufgabe des Bundes.

Und genau deswegen steht der Bund hier in der Verantwortung, insbesondere finanziell.

Es kann nicht sein, dass dieses Aufgabenfeld in einem Land wie Deutschland am Ende so stark von den Kommunen und Ländern geschultert werden muss. Wir brauchen eine viel stärkere strukturelle Beteiligung des Bundes. Das steht für mich fest und ich werde das auch weiterhin konsequent deutlich machen. Ich bin mir darin übrigens mit vielen meiner Länderkollegen einig.

Die zusätzlichen Mittel, die der Bund kürzlich für die Jahre 2015 und 2016 bereitgestellt hat, sind sicherlich ein Anfang. Ich würdige das ausdrücklich. Aber, und das möchte ich nochmals betonen: Der Bund muss sehr genau die tatsächliche Situation berücksichtigen, und damit auch die tatsächlichen finanziellen Anstrengungen, die in den folgenden Jahren anfallen werden.

Flüchtlingspolitik geht uns alle an. Und deshalb ist und bleibt auf diesem Feld eine größere dauerhafte finanzielle Beteiligung des Bundes insbesondere bei den Gesundheitskosten erforderlich, auch über 2016 hinaus!

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erstellt am:
16.12.2014

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