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Reichsbürger in Niedersachsen – Wie vernetzt ist die Szene?

Sitzung des Nds. Landtages am 2. Februar 2017; TOP 15 c) Dringliche Anfrage

Das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport antwortet namens der Landesregie-

rung auf die Dringliche Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wie folgt:

Sehr geehrter Herr Präsident,

meine Damen und Herren,

sehr geehrte Frau Hamburg,

die Landesregierung stellt auch in Niedersachsen eine deutliche Zunahme von Aktivitäten sogenannter „Reichsbürger und Selbstverwalter“ fest. Diese Personen erkennen die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland nicht an und gaukeln Bürgerinnen und Bürgern vor, sie bräuchten sich nicht an die bestehenden Gesetze zu halten. Übrigens: Bei Vielen ist dies insbesondere dann der Fall, wenn sie Probleme mit Behörden oder Gerichten haben, wenn es beispielsweise darum geht, Steuern oder Bußgelder zu zahlen. Manche bieten gegen Geld auch vermeintlichen „Rechtsbeistand“ bei Gerichtsverfahren an – vorwiegend in Fällen von Zwangsvollstreckung –, sie treten als Störer bei Gerichtsverhandlungen auf oder widersetzen sich selbst staatlichen Maßnahmen, und das – wie wir im vergangenen Jahr in Sachsen-Anhalt und in Bayern erleben mussten – zum Teil unter Anwendung von Gewalt, in einem Fall leider mit tödlichem Ausgang.

Allgemein stellen „Reichsbürger“ keine einheitliche Bewegung dar. Sie setzen sich vielmehr aus unabhängig voneinander agierenden Einzelpersonen und Gruppierungen zusammen, die sich in ihrem Wesen zuweilen deutlich unterscheiden. Das Spektrum reicht von politisch interessierten Trachtenvereinen über esoterisch geprägte Gruppen bis hin zu rechtsextremistisch motivierten Personenzusammenschlüssen, die der Beobachtung durch den Verfassungsschutz unterliegen.

In Abgrenzung zu der in Niedersachsen bereits seit 2005 als verfassungsfeindlich beobachteten Gruppierung „Exilregierung Deutsches Reich“ vertreten „Reichsbürger und Selbstverwalter“ nicht per se rechtsextremistische Ansichten. Sie können somit nur zum Teil dem Phänomenbereich Rechtsextremismus zugeordnet werden.

Gleichwohl sind bei den „Reichsbürgern“ hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen vorhanden. Allen gemein ist die grundsätzliche Ablehnung der Bundesrepublik Deutschland, die Ablehnung ihrer Gesetze und Normen und ihrer Institutionen. Bei einigen Gruppierungen sowie bei einzelnen Selbstverwaltern kommen neben der Aufstellung kruder Weltverschwörungstheorien auch weitere Ideologieelemente des Rechtsextremismus wie Antisemitismus oder Fremdenfeindlichkeit zum Tragen.

In Niedersachsen wird die „Exilregierung Deutsches Reich“ bereits seit 2005 als Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes eingestuft. Diese Beobachtung wurde aktuell auch auf das gesamte Spektrum der „Reichsbürger und Selbstverwalter“ ausgedehnt.

Zu Frage 1

Der niedersächsischen Landesregierung sind über die nachstehenden Sachverhalte hinaus derzeit keine Verbindungen zwischen „Reichsbürgern“ und der AfD bekannt, die über persönliche Kennverhältnisse hinausgehen. Strukturelle Verbindungen oder mögliche Einflussnahmen liegen nach bisherigem Erkenntnisstand nicht vor. Im Bereich der Polizeidirektion Braunschweig trat eine Person, die mit den „Reichsbürgern“ in Verbindung gebracht wird, als Verantwortlicher einer AfD-Wahlkampfveranstaltung auf. Im Bereich der Polizeidirektion Osnabrück kandidierte im Jahr 2016 eine weibliche Person mit „Reichsbürgerbezug“ bei der Kommunalwahl eines ostfriesischen Landkreises für die AfD.

Des Weiteren wurde im Bereich der Polizeidirektion Göttingen eine Person bekannt, die der Gruppierung der „Reichsbürger“ zuzuordnen ist und Mitglied der AfD, Kreisverband Weserbergland, ist. Zudem ist bekannt, dass im Zuständigkeitsbereich der Polizeidirektion Lüneburg eine Person, die den „Reichsbürgern“ zugeordnet werden kann, der AfD angehört.

Zu Frage 2

Das gesamte Spektrum der „Reichsbürger und Selbstverwalter“ in Niedersachsen unterliegt erst seit kurzem der Beobachtung durch den Niedersächsischen Verfassungsschutz.

Daher kann die konkrete Frage nach Vernetzungsbestrebungen regional oder überregional agierender Gruppierungen zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abschließend beantwortet werden.

Im Rahmen polizeilicher Ermittlungen im Zusammenhang mit dem Tötungsdeliktes zum Nachteil eines Polizeibeamten in Georgensmünd (Bayern) im Jahr 2016 konnten bei dem Beschuldigten jedoch Aufzeichnungen aufgefunden werden, die auf Kontakte nach Niedersachsen hindeuten. Weiterhin ist hier bekannt, dass Personen, die der sog. „Reichsbürgerszene“ angehören, aus den Zuständigkeitsbereichen der Polizeidirektionen Lüneburg, Oldenburg und Hannover einzelne Kontakte innerhalb der Bundesrepublik Deutschland und/oder in das europäische Ausland unterhalten.

Zu Frage 3

Dem Niedersächsischen Verfassungsschutz sind landesweit vereinzelt Rechtsextremisten bekannt, die über ideologische Bezüge zur so genannten „Reichsbürgerbewegung“ verfügen. Grundsätzlich ist festzustellen, dass innerhalb der „Reichsbürgerszene“ vereinzelt rechtsgerichtete und/oder antisemitische Argumentationstheorien vorherrschen. Des Weiteren sind Argumentationen von „Reichsbürgern“ für Teile der rechtsextremistischen Szene durchaus anschlussfähig. Hierunter fallen vor allem gebietsrevisionistische Vorstellungen von „Reichsbürgern“ oder in Teilen ebenfalls die Ablehnung der Bundesrepublik Deutschland als Staat. Konkrete Personenbezüge von polizeilich bekannten „Reichsbürgern“ zu anderen, der rechtsextremistischen Szene zugehörigen Gruppierungen, liegen den niedersächsischen Polizeibehörden in den nachfolgenden Fällen vor:

Im Bereich der Polizeidirektion Osnabrück ist eine Person wohnhaft, die als Teilnehmer einer rechtsgerichteten Veranstaltung aufgefallen ist.

Diese Person gehörte dem extremistischen FOB (Freies Osnabrücker Bündnis), einer der NPD nahestehenden Wählergemeinschaft an, die zur Kommunalwahl im Jahr 2011 im Landkreis Osnabrück angetreten war.

Darüber hinaus liegen Erkenntnisse vor, dass ein bundesweit agierender Rechtsextremist aus dem Landkreis Verden/Aller der Gruppierung „Freistaat Preußen“ angehört.

Aus dem Bereich der Polizeidirektion Lüneburg ist eine den „Reichsbürgern“ zuzurechnende Person bekannt, die als rechtsextremistisch einzustufen ist. Einer konkreten Gruppierung der „Reichsbürgerbewegung“ konnte diese Person bisher nicht zugeordnet werden. Im Bereich der Polizeidirektion Göttingen (PI Nienburg / Schaumburg) sind aktuell drei Personen bekannt, die auch der „Reichsbürgerbewegung“ zuzuordnenden rechtsextremistischen Gruppierung „Justiz-Opfer-Hilfe“ (JOH) angehören.

Presseinformation

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erstellt am:
02.02.2017

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