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„Immer mehr Terrrorverdächtige im Land?“

Sitzung des Nds. Landtages am 15. September 2016; TOP 17 a) Dringliche Anfrage


Das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport antwortet namens der Landesregierung auf die Dringliche Anfrage der Fraktion der FDP wie folgt:

Sehr geehrter Herr Präsident,

meine Damen und Herren,

sehr geehrter Herr Grascha,

Die Sicherheitslage in Deutschland, auch in Niedersachsen, hat sich gerade seit den widerlichen Terroranschlägen auf das World Trade Center von 2001 deutlich verändert. Im Bereich des islamistisch motivierten Terrorismus besteht eine anhaltend hohe abstrakte Gefährdung, die sich jederzeit in Form von gefährdungsrelevanten Ereignissen bis hin zu terroristischen Anschlägen und Entführungen konkretisieren kann. Dies zeigt sich insbesondere auch an der erheblichen Steigerung entsprechender terroristischer Strafverfahren und Gefahrenermittlungsvorgängen.

Der feige Messerangriff der 15-Jährigen gegen einen Beamten der Bundespolizei in Hannover sowie die terroristischen Ereignisse in dem Regionalzug bei Würzburg und dem Musikfestival in Ansbach im Juli dieses Jahres haben diese Einschätzung der Sicherheitsbehörden leider bestätigt. Objektiv ist Deutschland eines der sichersten Länder der Welt.

Die Gefahr, hier durch derartige Gefahren ums Leben zu kommen, ist glücklicherweise deutlich geringer als in den meisten anderen Ländern. Das soll keine Beruhigungspille sein; es ist einfach die Wahrheit. Dennoch müssen wir dort wo es Verbesserungspotential bei den Sicherheitsbehörden gibt, dieses klar ansprechen. Ebenso richtig ist aber: Mit Kritik an der engagierten Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden sollte man sich solange zurückhalten, wie sie nur auf Mutmaßungen beruhen. Die aktuellen Ereignisse in Deutschland und auch in Niedersachsen machen uns deutlich, dass die Sicherheitsbehörden in unserem Land im Zusammenhang mit dem islamistischen Terrorismus vor großen Herausforderungen stehen.

Ich kann Ihnen versichern, dass unsere Polizei in Niedersachsen gut vorbereitet und aufgestellt ist.

Allerdings sind insbesondere zahlreiche terroristische Strafverfahren und Gefahrenermittlungsvorgänge eine hohe Herausforderung und auch Belastung für die Polizei.

Umfangreiche und detaillierte Rahmenkonzepte und Handlungsempfehlungen auf nationaler und internationaler Ebene bilden die strategische Ausrichtung und definieren die erforderlichen Maßnahmen zur Bekämpfung des islamistischen Terrorismus und gewährleisten so ein hohes Maß an Handlungssicherheit. Ein gutes Beispiel dafür ist der gemeinsame „Standardisierte Maßnahmenkatalog der niedersächsischen Sicherheitsbehörden im Zusammenhang mit salafistischen Brennpunkten sowie Jihad-Ausreisenden und –Rückkehrern“ (VS-NfD) von Polizei und Verfassungsschutz in Niedersachsen. Mein Vertrauen gilt der engen Zusammenarbeit zwischen Polizei und Verfassungsschutz zur Erkenntnisgewinnung und zum Informationsaustausch. Wichtig ist mir eine intensive Verzahnung und Kooperation aller Akteure zur fortlaufenden Abstimmung und Weiterentwicklung der jeweiligen Interventions-, aber auch Präventionsansätze.

Das Landeskriminalamt als Zentralstelle für den Polizeilichen Staatsschutz des Landes Niedersachsen spielt im Zusammenwirken mit dem Staatsschutz der Polizeidirektionen, aber auch dem Verfassungsschutz bei der Terrorismusbekämpfung eine wichtige Rolle. In Niedersachsen wird im Gemeinsamen Informations- und Analysezentrum (GIAZ) ein fachbezogener Informations- und Erkenntnisaustausch zwischen Polizei und Verfassungsschutz gewährleistet.

Herausragende Ermittlungssachverhalte und zahlreiche Gefahrenermittlungsvorgänge zeigen, wie unverzichtbar es ist, überregional und auch länderübergreifend zu agieren. Dadurch können Informationen so gebündelt und bewertet werden, dass die richtigen Einsatzmaßnahmen und Ermittlungsschritte durchgeführt werden. Unser Anspruch ist es, uns in der Terrorismusbekämpfung in unserem Land und auch über die Landesgrenzen hinweg stets weiterzuentwickeln und sich engagiert den neuen Herausforderungen zu stellen. Aus diesem Grund ist das LKA im vergangenen Jahr in diesem Bereich personell erneut um acht Stellen verstärkt worden.

Darüber hinaus haben wir in den sechs zentralen Kriminalinspektionen Ermittlungseinheiten mit jeweils mindestens vier Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geschaffen, die eine wichtige Unterstützung bei dem Erkennen von islamistischen Strukturen und Gefahren geben und bei der erforderlichen Ermittlungsarbeit einen großen Beitrag leisten.

Von der Vernetzung und Bündelung der langjährigen Kompetenzen und Erfahrungen aus der OK-Bekämpfung mit denen des polizeilichen Staatsschutzes verspreche ich mir das bestmögliche Potential zur Bekämpfung der terroristischen Bedrohungen.

Die Einrichtung dieser zentralen Ermittlungseinheiten erfolgte auch vor dem Hintergrund, dass bei dem nach wie vor aufwachsenden Personenpotential an Gefährdern, relevanten Personen als auch an Ausreisewilligen und Rückkehrern aus Jihadgebieten sowie der steigenden Anzahl der zu bearbeitenden Gefahrenermittlungsvorgänge und Strafverfahren eine zentrale Bearbeitung aller Vorgänge durch das Landeskriminalamt ergänzt werden sollte und die Arbeit damit in der Fläche gestärkt wird.

Neben dem reaktiven Verhalten ist ein weiterer wichtiger Baustein in der Bekämpfung des islamistischen Terrorismus die Kriminalprävention. Nur wenn wir es schaffen, Radikalisierungsprozesse frühzeitig zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren, haben wir eine Chance, dem jihadistischen, selbstmörderischen Gedankengut und Handeln effektiv entgegenzuwirken. Aus diesem Grund wurde bereits im Jahr 2014 im LKA ein eigenständiger Bereich dafür geschaffen, die phänomenübergeifend ausgerichtete Präventionsstelle Politisch Motivierte Kriminalität (PPMK).

Im Hinblick auf die Prävention gegen den Islamismus hat die niedersächsische Landesregierung am 5. Juli 2016 ferner die Einrichtung der „Kompetenzstelle Islamismusprävention Niedersachen“ (KIP NI) beschlossen. Die Kompetenzstelle bündelt, institutionalisiert und intensiviert unter Leitung der Polizei und des Verfassungsschutzes die Aktivitäten und die bereits bestehende Vernetzung der Akteure im Bereich der Islamismusprävention in Niedersachsen und dient ihnen als Koordinierungs- und Servicestelle.

Zu Frage 1:

In den Jahren 2008 bis 2012 wurden von den niedersächsischen Justizbehörden fünf Strafverfahren wegen Terrorismusverdachts geführt; davon 2008: zwei Verfahren wegen § 129a/b StGB, keines in den Jahren 2009 und 2010, 2011: ein Verfahren wegen §§ 89a StGB und 2012: zwei Verfahren wegen § 89a StGB.

Im Jahr 2013 waren dann insgesamt drei Verfahren gem. § 89a StGB, im Jahr 2014 insgesamt vierzehn Verfahren - davon zwölf Verfahren gem. § 89a StGB und zwei Verfahren gem. § 89b StGB - sowie im Jahr 2015 insgesamt dreißig Verfahren – davon sechs wegen §§ 129a, 129b StGB, dreiundzwanzig wegen § 89a StGB und eines wegen § 89b StGB - anhängig.

Im Jahr 2016 sind es nunmehr bislang dreiunddreißig Verfahren – davon zehn wegen §§ 129a, 129b StGB, neunzehn wegen § 89a StGB, eines wegen § 89b StGB und drei wegen § 89c StGB.

Um es Ihnen nochmal deutlich zu machen. Während in den Jahren 2008 bis 2012 insgesamt fünf Strafverfahren wegen Terrorismus anhängig waren, sind es nunmehr im Laufe dieser Legislaturperiode insgesamt 80 solcher Strafverfahren.

Zu Frage 2:

Die Stärken im Bereich des polizeilichen Staatsschutzes wurden in den letzten Jahren kontinuierlich den erhöhten Anforderungen angepasst. Die Polizeidirektionen erhalten in diesem Zusammenhang Vollzugspersonal nach einem sog. Staatsschutzsockel. Dieser betrug im Jahr 2008 für die sechs Polizeidirektionen 279 Stellen. Zum Oktober 2015 wurde dieser Staatsschutzsockel um 24 Stellen auf 303 Stellen erhöht. Auf Basis dieser Sollstärken werden in den Polizeidirektionen und – inspektionen Dienstposten in den entsprechenden Staatsschutzdienststellen besetzt. In vergleichbarem Umfang ist das LKA Niedersachsen mit acht zusätzlichen Vollzugsstellen im Staatsschutz gestärkt worden. Zurzeit läuft darüber hinaus ein weiteres Personalauswahlverfahren im LKA im Umfang von zehn Stellen. Weitere Verstärkungen werden priorisiert dann vorgenommen, wenn dafür ein Bedarf entsteht.

Soweit die jeweilige aktuelle Erkenntnis- und Ereignislage es erfordert, werden im Rahmen einer jeweiligen personellen Schwerpunktsetzung Verstärkungskräfte zur Bearbeitung eingesetzt. Dazu zählen dann auch die Spezialeinheiten und Kräfte der zentralen Polizeidirektionen.

Hinzuweisen ist allerdings auch darauf, dass in den Staatsschutzdienststellen alle staatsschutzrelevanten Sachverhalte bearbeitet werden. So ist auch ein zusätzliches Fortbildungsprogramm installiert worden, um die polizeiliche Sachbearbeitung auf den aktuellen Stand der Ermittlungsführung zu bringen. Eine differenzierte, nach bestimmten Delikten ausgerichtete Feststellung des dafür speziell eingesetzten bzw. zuständigen Personals ist retrograd nicht möglich.

Die konkreten Zahlen im Sinne der Fragestellung liegen nicht vor. Um für den in Rede stehenden Zeitraum die tatsächlichen Personalstärken aller Staatsschutzdienststellen valide feststellen zu können, bedürfte es einer umfangreichen retrograden Abfrage in allen Behörden, die nur mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand zu realisieren wäre und die in der Kürze der für die Beantwortung zur Verfügung stehenden Zeit nicht geleistet werden kann.

Zu Frage 3:

Bei Personen, die als Gefährder oder auch relevante Personen eingestuft sind, werden im Bedarfsfall Kräfte aus anderen Organisationseinheiten zur Unterstützung herangezogen. So werden regelmäßig bei sogenannten Verbleibskontrollen oder Durchsuchungsmaßnahmen Kräfte des Einsatz- und Streifendienstes, des Ermittlungsdienstes oder auch der zentralen Polizeidirektion eingebunden. Darüber hinaus werden anlassbezogen Kräfte der Spezialeinheiten herangezogen.

Vor diesem Hintergrund ist eine Bezifferung von Personalstärken nicht möglich.

Presseinformation

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erstellt am:
15.09.2016

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