Nds. Ministerium für Inneres und Sport Niedersachsen klar Logo

Beantwortung der Mündl. Anfrage der GRÜNEN zum „ewigen Ruherecht“ auf offiziellen Grabstätten

Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 3. Februar 2017; Fragestunde Nr. 6

Das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport antwortet namens der Landesregierung auf die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Filiz Polat, Julia Willie Hamburg und Heiner Scholing (GRÜNE) wie folgt:

Vorbemerkung der Abgeordneten

Am 16. Dezember 1942 ordneten die Nazis mit dem so genannten Auschwitz-Erlass die Massendeportation der im Deutschen Reich lebenden Roma und Sinti ins Vernichtungslager Auschwitz an. Während der NS-Diktatur wurden Sinti und Roma schrittweise aus dem gesellschaftlichen Leben ausgegrenzt, entrechtet und verfolgt. Von den damals 700.000 in ganz Europa lebenden Sinti und Roma wurden schätzungsweise bis zu 500.000 Menschen in den Konzentrationslagern ermordet. Dieser Völkermord an den Sinti und Roma (Porajmos) zeugt wie der Holocaust vom rassistischen Vernichtungswillen des NS-Regimes.

Die Gräber der ermordeten Sinti und Roma sind Teil der Stätten der Erinnerung an diesen Völkermord. Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma mit seinen angeschlossenen Landesverbänden fordert seit längerem auch eine gesetzliche Regelung in Form einer „ewigen Ruhe“ für diese Gräber. Dies ist zudem notwendig, um dem „Gesetz über die Erhaltung der Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft“ gerecht zu werden, das zukünftigen Generationen die Erinnerung an die Folgen von Krieg und Gewaltherrschaft aufrechterhalten soll.

Nachdem sich insbesondere der Vorsitzende des Zentralrats der Deutschen Sinti und Roma, Romani Rose, seit Jahren für ein dauerndes Ruherecht eingesetzt hatte, einigten sich Bund und Länder im Rahmen der Ministerpräsidentenkonferenz am 9. Dezember 2016 in Berlin auf eine Regelung zum Ruherecht für diese Grabstätten - sie sollen fortdauernd bestehen bleiben. Die entstehenden Kosten sollen künftig zu je 50 Prozent von Bund und Ländern übernommen werden.

Vorbemerkung der Landesregierung

Der Bund hat das Gesetz über die Erhaltung der Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft (Gräbergesetz) erlassen. Dieses Gesetz enthält in § 1 Abs. 2 eine sachliche und zeitliche Regelung über die unter seinen Geltungsbereich fallenden Gräber.

So sind z. B. unter Nr. 4 die Gräber von Personen genannt, die als Opfer nationalsozialistischer Gewaltmaßnahmen seit dem 30. Januar 1933 ums Leben gekommen sind oder an deren Folgen bis 31. März 1952 gestorben sind. Diese Regelung gilt für Angehörige aller Gruppen, die nationalsozialistischen Gewaltmaßnahmen zum Opfer gefallen sind.

Dass die Gräber der Sinti und Roma, die durch diese Gewaltmaßnahmen oder an deren Folgen bis zum 31. März 1952 verstorben sind, unter dem dauerhaften Schutz des Gräbergesetzes stehen, ist unstrittig.

Gräber von Personen dieser Gruppen, die die Gewaltmaßnahmen, denen sie ausgesetzt waren, überlebt haben und erst nach 1952 verstorben sind, fallen nicht unter das Gräbergesetz. Diese Gräber unterliegen den Bestimmungen des allgemeinen Bestattungsrechts mit seinen Ruhezeiten sowie den Regelungen des jeweiligen Friedhofsträgers.

Seit Jahren verfolgt insbesondere der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma, aber auch die Sinti Allianz Deutschland e. V. über diese bestehenden Regelungen hinaus das Anliegen, dass auch die Gräber der Sinti und Roma, die nationalsozialistischen Gewaltmaßnahmen in der Zeit zwischen 1933 und 1945 ausgesetzt waren und nach 1952 verstorben sind oder noch versterben, unter einen dauerhaften Schutz gestellt werden. Dieses Thema war Gegenstand verschiedener Eingaben (z. B. auch im Niedersächsischen Landtag) und Gespräche (etwa anlässlich der jährlichen Begegnungen mit den jeweiligen Präsidentinnen oder Präsidenten des Bundesrates). Das vom Zentralrat gewünschte Ergebnis wurde hierbei nicht erreicht. Nunmehr hat der Bund vorgeschlagen, eine Lösung für den Erhalt dieser Gräber unter einer jeweils hälftigen Beteiligung des Bundes und der Länder an den entstehenden Kosten zu finden.

In der Besprechung der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 8. Dezember 2016 wurde unter TOP 8 der folgende Beschluss gefasst:

1. Die Bundeskanzlerin und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder bekennen sich zur gemeinsamen Verantwortung für die Sicherung der Grabstätten der unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft verfolgten Sinti und Roma.

2. Die Bundeskanzlerin und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder vereinbaren dazu vor dem Hintergrund der Wahrung der verfassungsrechtlichen Zuständigkeiten des Bundes und der Länder eine jeweils hälftige Beteiligung an den entstehenden Kosten für den Erhalt der berechtigten Gräber.

3. Hierfür sollen Bund und Länder eine Regelung zu einer gemeinsamen administrativen Umsetzung erarbeiten. Die Umsetzung der Regelung wird für 2017 angestrebt.

Die Regelung der weiteren Einzelheiten wurde einer Bund-Länder-Abstimmung vorbehalten. Hierzu werden zwischen dem Bund und den Ländern auf Arbeitsebene weitere Gespräche mit dem Ziel einer Umsetzung noch im laufenden Jahr 2017 geführt werden. Diese Gespräche werden sich insbesondere auf das Verfahren der Ermittlung der betroffenen Gräber und der Antragstellung sowie die Zuständigkeit für die Antragsbearbeitung, den Umfang der zu erstattenden Kosten und die Kostenverteilung bei den Ländern beziehen.

Weitere Aussagen können derzeit hierzu nicht getroffen werden.

1. Wie viele Grabstätten von im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma gibt es in Niedersachsen, und wo befinden sich diese?

Bei der Beantwortung ist zunächst zu unterscheiden, ob es sich um Gräber handelt, die unter das Gräbergesetz fallen oder nicht.

Die Anzahl der Gräber von im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma, die unter das Gräbergesetz fallen, ist, nicht anhand der nach der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Gräbergesetz aufzustellenden Gräberlisten zu ermitteln. In diesen Listen wurden lediglich Nationalitäten erfasst, eine Identifizierung und Lokalisierung von Gräbern von Sinti und Roma ist daher anhand der Listen nicht möglich.

Für die Gräber der nach 1952 Verstorbenen, die aus diesem Grunde nicht unter das Gräbergesetz fallen, hat der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma im Jahre 2012 eine Liste vorgelegt. Danach liegen 219 der dort aufgeführten ca. 2.300 Gräber in Niedersachsen. Ob hierin auch die Gräber von Sinti erfasst sind, die von der Sinti Allianz Deutschland e. V. vertreten werden, ist nicht erkennbar. Weitere Zahlen sind der Landesregierung nicht bekannt. Eine administrative Erfassung dieser Gräber dürfte vor dem Problem stehen, dass diese Gräber statistisch nicht erfasst sind und auch nicht durch Eintragungen in Belegungslisten o. ä. der Friedhöfe erkennbar sind.

Auch der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten liegt eine entsprechende valide Datengrundlage nicht vor.

2. Wie hoch sind die finanziellen Mittel, die die Landesregierung künftig für das Ruherecht von im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma aufwenden wird?

Für die unter das Gräbergesetz fallenden Gräber folgt die Kostentragung aus § 10 des Gräbergesetzes. Hiernach trägt der Bund die im Gesetz genannten Kosten in Form von Pauschalen, die den Ländern zur Verfügung gestellt werden.

Die Höhe der auf der Grundlage des Beschlusses vom 8. Dezember 2016 bereitzustellenden Mittel ergibt sich aus der noch auf Bund-Länder-Ebene abzustimmenden Festlegung des Umfanges der Förderung, der Regelung über die Kostenverteilung bei den Ländern und der Anzahl der Gräber sowie noch weiteren abzustimmenden Festlegungen. Eine genaue Anzahl und dementsprechend ein genaues Kostenvolumen kann derzeit noch nicht ermittelt werden.

3. Mit welchen Maßnahmen und in Zusammenarbeit mit welchen Verbänden und Organisationen hält die Landesregierung die Erinnerungskultur an im Nationalsozialismus ermordete Sinti und Roma lebendig - auch und gerade in Bezug auf die offiziellen Grabstätten?

Im Hinblick auf die nicht unter das Gräbergesetz fallenden Gräber bestanden in der Vergangenheit Kontakte mit dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma und mit der Sinti Allianz Deutschland e. V. Es ist davon auszugehen, dass diese Organisationen auch in die genannten Bund-Länder-Abstimmungen mit einbezogen werden.

Zu den darüber hinausgehenden Maßnahmen der Gedenk- und Erinnerungskultur in Bezug auf die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma kann auf folgendes hingewiesen werden:

Das Niedersächsische Kultusministerium und die Stiftung niedersächsische Gedenkstätten betrachten die Forschung und Bildungsarbeit zur Verfolgung und Entrechtung der Roma und Sinti seit vielen Jahren als einen zentralen Bestandteil ihrer Arbeit.

Im Rahmen des bundes- und landesseitig geförderten Projekts „Kompetent gegen Antiziganismus“ (KogA) beschreitet die Stiftung niedersächsische Gedenkstätten innovative Wege in der historisch-politischen Bildungsarbeit. Diese verbindet aktuelle Forschungsarbeiten und -ergebnisse mit Methoden und Ansätzen der Gedenkstättenpädagogik sowie mit Demokratie- und Menschenrechtsbildung, antirassistischer Bildungsarbeit, der Arbeit gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Antisemitismus und Antiziganismus im Sinne von Inklusion und inklusiver Entwicklung. Die Bearbeitung gegenwärtiger Themen unter Einbeziehung der historischen Perspektive ermöglicht, fundiert über Kontinuitäten und Diskontinuitäten in der Diskriminierung und Entrechtung von Sinti und Roma zu reflektieren. Damit werden Sensibilität, Bewusstsein und verändertes inklusives und menschenrechtsorientiertes Verhalten von Individuen, Organisationen und Gesellschaft befördert.

Das Niedersächsische Kultusministerium arbeitet eng mit den niedersächsischen Vereinen und Verbänden der Sinti und Roma zusammen, insbesondere mit dem Niedersächsischen Verband Deutscher Sinti e. V., der Niedersächsischen Beratungsstelle für Sinti und Roma e. V. sowie dem Verein Romane Aglonipe/ Roma in Niedersachsen e. V.

In der Zusammenarbeit geht es neben der auf diese Opfergruppen bezogene Erinnerungskultur auch um die Prävention und Bekämpfung von Antiziganismus/ Antiromaismus sowie um die Verbesserung der Bildungsteilhabe.

Presseinformation

Artikel-Informationen

erstellt am:
03.02.2017

zum Seitenanfang
zur mobilen Ansicht wechseln