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Beantwortung der Mündl. Anfrage der FDP zum Telenotarztdienst

Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 24. November 2016; Fragestunde Nr. 44


Das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport antwortet namens der Landesregierung auf die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Jan-Christoph Oetjen, Björn Försterling und Dr. Marco Genthe (FDP) wie folgt:

Vorbemerkung der Abgeordneten

In den letzten Jahren ist die Zahl der Notfalleinsätze stetig gestiegen. Gleichzeitig gibt es einen zunehmenden Notärztemangel, der sich gerade in den ländlichen Gebieten niederschlägt.

Aus diesem Grund wurde zum 1. April 2014 in Aachen ein Telenotarztdienst etabliert, der ein zusätzliches Einsatzmittel darstellt.

Die Telenotärzte stehen in der Leitstelle rund um die Uhr zur Verfügung und können per Knopfdruck via Mobilfunk und Bluetooth-Headset dazu geschaltet werden. Sie sind erfahrene Notärzte, die über spezielle Qualifikationsanforderungen verfügen müssen. Die Telenotärzte erhalten entweder auf dem Weg oder vor Ort die wichtigsten Informationen über Patient und Einsatz. Über den telemedizinisch angeschlossenen Patientenmonitor werden zudem automatisch die Vitaldaten des Patienten übertragen. Ferner können Fotos und Videoaufnahmen zwischen Arzt und Einsatzkraft geteilt werden; zudem haben die Krankenwagen eine hochauflösende Kamera eingebaut, die der Telenotarzt selber steuern kann.

Anhand dieser Daten kann der Telenotarzt zusammen mit den Informationen durch die Rettungskräfte eine Erstdiagnose stellen, auf deren Grundlage er Medikamente verordnen kann, die die Rettungsassistenten dem Patienten vor Ort verabreichen. Die Schmerzen können dadurch schnell gelindert werden, und der Patient wird transportfähig.

Das Eintreffen eines Notarztes dauert im Schnitt zehn bis zwölf Minuten. Innerhalb dieser Zeit wäre es den Rettungskräften nicht möglich, dem Patienten z. B. ein Schmerzmittel zu geben. Durch den Einsatz eines Telenotarztes handeln sie nun aber unter ärztlicher Verantwortung und sind berechtigt, in Absprache Medikamente zu verabreichen.

Ein Telenotarzt soll die fahrenden Notärzte entlasten, nicht jedoch ersetzen. Zudem ergibt sich aus dem Einsatz von Telenotärzten eine Rechtssicherheit für die Rettungsassistenten und eine Verkürzung von therapiefreien Intervallen für die Patienten. Eine notärztliche Versorgung ist dadurch immer und unmittelbar möglich, alle Einsätze werden elektronisch erfasst, und es können Vorabinformationen über den Patienten an die behandelnde Klinik gesendet werden.

Vorbemerkung der Landesregierung

In Ergänzung zu der Vorbemerkung des Abgeordneten führt der „Evaluationsbericht Telenotarztsystem“ der Stadt Aachen, Fachbereich Rettungsdienst, vom 14. Oktober 2015 folgendes aus:

„Seit Jahren steigen bundesweit, wie auch in der Stadt Aachen, die Einsatzzahlen im Rettungsdienst kontinuierlich an. Der jährliche Anstieg um 4-5% von notarztbegleiteten Notfalleinsätzen führt u.a. zu kontinuierlich längeren Eintreffzeiten des Notarztes in der Bundesrepublik. Nach aktuellsten Zahlen (Deutscher Bundestag, Drucksache 18/2420) dauert es bundesweit in 17% der Notfalleinsätze länger als 20 Minuten, bis der Notarzt eintrifft, in 5% sogar länger als 28 Minuten.

Dies führt bei einigen Patienten zu einer inakzeptablen Versorgungssituation und zu schwerwiegenden Komplikationen. Vor diesem Hintergrund erweist sich die Umsetzung neuer Lösungen zur nachhaltigen Sicherstellung eines angemessenen Versorgungsniveaus im Rettungsdienst als obligatorisch.

Zwischen 2007-2013 wurde im Rahmen von zwei großen Forschungsprojekten in Aachen ein Telenotarzt (TNA)-System bestehend aus einer TNA-Zentrale inklusive qualitätsoptimierender Software und einer mobilen Datentransfereinheit anwendungsnah entwickelt und als strukturelle Ergänzung zu den bestehenden Strukturen des deutschen Rettungswesens sehr erfolgreich evaluiert. Aufgrund der akuten Notwendigkeit einen weiteren 24h-Notarzt in der Stadt Aachen zur Bedarfsdeckung einzurichten wurde 2014 entschieden, statt der Etablierung eines weiteren mit Rettungsassistent und Notarzt besetzten Notarzteinsatzfahrzeugs (NEF) eben diese ganzheitliche TNA-System in den Regelrettungsdienst einzuführen.

Als zentrale Ergebnisse aus ca. 1,5 Jahren Regelbetrieb lassen sich folgende Erkenntnisse heute nachweisen:

  1. Der Einsatz des TNA-Systems führt zu einer signifikanten Entlastung der fahrenden Notarzt-Ressourcen bzw. einer deutlichen Senkung der Notarztquote.
  2. Die Bindung ärztlicher Ressourcen in Notfalleinsätzen und Verlegungstransporten wird durch das TNA-System deutlich verkürzt.
  3. Die medizinische Versorgungsqualität mit TNA-System ist nachweislich von besserer Qualität als die konventionelle notfallmedizinische Versorgung im Rettungsdienst.“

Der Bericht kam zu folgender Bewertung:

„Mit dem TNA-System werden aktuell ca. 600 Rettungsdiensteinsätze je Quartal ärztlich geleitet. In 92,5% dieser Fälle werden sonst notwendige konventionelle Notarzteinsätze entbehrlich, in den restlichen 7,5% wird bis zum Eintreffen des Notarztes medizinische Hilfe durch den Telenotarzt geleistet bzw. in Einzelfällen der Notarzt vor Ort mit einem Expertenrat bei seltenen Notfallsituationen oder bei fehlender ärztlicher Erfahrung unterstützt. Ärztliche Therapie steht durch das TNA-System unverzüglich nach Eintreffen des Rettungswagens zur Verfügung. Damit konnte eine Verkürzung des sog. therapiefreien Intervalls erreicht werden. Die Notarztquote (Anteil der Notfalleinsätze mit konventioneller Notarztbeteiligung) konnte in der Stadt Aachen erstmals seit 30 Jahren um 35% reduziert werden. Diese Quote von aktuell 23,4% (Quartale 2 und 3, 2015) liegt somit 53% unter dem Bundesdurchschnitt und 62% unter der Notarztquote des Landes Rheinland-Pfalz. Bei Primäreinsätzen konnte erstmals seit 30 Jahren der jährliche 3-4%ige Anstieg von Notarzt-gestützten Einsätzen (Summe konventioneller + telenotärztlicher Einsätze) verhindert werden.

Somit steigt die Gesamtzahl an arztunterstützten Einsätzen durch Einführung des TNA-Systems im Primäreinsatzbereich nicht an, sondern führt zu einem Abfall der Gesamteinsätze. Gleichzeitig verkürzt das TNA System die ärztliche Bindungszeit je Einsatz in Aachen um ca. 50%. Bei Sekundäreinsätzen (Verlegungen von Krankenhaus zu Krankenhaus) konnte in den letzten Jahren ein sprunghafter Anstieg registriert werden. Mehr als ein Drittel der Verlegungen mit notwendiger Arztbegleitung werden inzwischen durch das TNA-System geleistet. Somit kann in diesem Einsatzsegment bislang auf einen festen Verlegenotarzt verzichtet werden.“

1. Wie bewertet die Landesregierung das Instrument des Telenotarztes?

Die Landesregierung sieht das Projekt der Stadt Aachen zum TNA grundsätzlich positiv und ist an einer Erprobung des TNA-Systems in Niedersachsen interessiert.

Der Landesausschuss Rettungsdienst (§ 13 Niedersächsisches Rettungsdienstgesetz) hat das Thema TNA bereits fachlich erörtert, zuletzt in der Sitzung am 16. November 2016. Eine eingehendere Befassung in den kommenden Sitzungen ist vorgesehen.

Fachlich wird der TNA in Verbindung mit der Einführung des Notfallsanitäters zum jetzigen Stand als Option gesehen, Einsparungen zu erzielen - ohne jedoch Notärzte einzusparen –, eine Qualitätsverbesserung in der Notfallbehandlung und Entlastungen bei intensivmedizinischen, arztpflichtigen Verlegungsfahrten zu erzielen. Die Verkürzung des „arzt- und therapiefreien Intervalls“ ist ein erheblicher Vorteil.

Als ergänzendes System im Bereich des Rettungsdienstes wäre aber auch, neben den genannten Verbesserungen, ein hoher Investitionsbedarf für die technische Umsetzung zu erwarten, sollte das System in Niedersachsen eingeführt werden. Hier käme es auf eine fachliche Auswertung der bestehenden Modelle sowie eine sich anschließende Kosten- Nutzen-Betrachtung an.

2. Gibt es in Niedersachsen bereits ein solches oder ein ähnliches System? Wenn ja, wo?

In der Sitzung des Landesausschusses vom 16. November 2016 wurde folgendes berichtet:

In Niedersachsen gibt es mehrere Überlegungen auf lokaler Ebene. Der Kreisverband des Malteser-Hilfsdienstes in Vechta steht mit der Stadt Aachen in Kontakt, welche das System Telenotarzt seit mehreren Jahren erprobt. Außerdem wird durch den Landkreis Oldenburg ein wissenschaftliches Projekt unter Einbindung der Fähigkeit Telenotarzt angestrebt, um eine Entlastung für Rettungsflüge zu Off-Shore-Anlagen zu erreichen.

Die Landesregierung sieht den Ergebnissen interessiert entgegen.

Mit der forcierten und auch im Ländervergleich erfolgreichen Ausbildung zahlreicher Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter wird in Niedersachsen derzeit eine entscheidende Grundlage dafür gelegt, um das System der Notfallrettung und Notfallmedizin zu optimieren und gerade auch in ländlichen Räumen auf hohem fachlichen Niveau leistungsfähig zu halten.

3. Wenn nicht, gibt es Überlegungen, dieses einzuführen?

Siehe Antwort zu 2.

Artikel-Informationen

erstellt am:
24.11.2016

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