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Beantwortung der Mündl. Anfrage der CDU zum Umgang mit Spendensammelverei-nen

Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 24. November 2016; Fragestunde Nr. 2


Das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport antwortet namens der Landesregierung auf die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Reinhold Hilbers, Burkhard Jasper, Petra Joumaah, Dr. Max Matthiesen und Annette Schwarz (CDU) wie folgt:

Vorbemerkung des Abgeordneten

Auf die Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung „Rekrutieren humanitäre Hilfsorganisationen in Niedersachsen Terrorkämpfer für den islamischen Staat?“ (Drucksache 17/1996) antwortete die Landesregierung am 18. November 2014, dass „keinerlei belegbare Informationen darüber vorliegen, dass die Vereine ‚Helfen in Not e. V.‘ und ‚Ansaar International e. V.‘ mit der Terrororganisation „Islamischer Staat (IS) kooperieren, zur Radikalisierung junger Muslime in Deutschland beitragen und neue Kämpfer für Syrien rekrutieren.“ Auch sei es „nicht möglich zu differenzieren, ob die jeweiligen Spenden als humanitäre Hilfsleistungen der syrischen Bevölkerung zugutekommen oder ob sie der Unterstützung jihadistischer Gruppierungen dienen.“ Aussagen zu der Frage, ob die beiden Vereine als gemeinnützig anerkannt seien, dürfe man nicht treffen, da dies dem Steuergeheimnis unterliege. Allerdings sei widerlegbar davon auszugehen, dass „die Voraussetzungen für die Steuerbegünstigung nicht vorliegen, wenn eine Körperschaft in einem Verfassungsschutzbericht des Bundes oder eines Landes als extremistische Organisation aufgeführt ist.“

Sowohl „Helfen in Not e. V.“ als auch „Ansaar International e. V.“ wurden bereits 2013 im Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen als extremistische Organisationen aufgeführt und veranstalten auch in Niedersachsen Spendengalas, so z. B. in der Moschee der „Deutschsprachigen Muslimischen Gemeinschaft (DMG)“ in Braunschweig. Wie der SPIEGEL in seiner Ausgabe 41/2016 unter der Überschrift „Sechs Eimer voller Geld“ berichtete, verdichten sich die Hinweise, dass die besagten Hilfsorganisationen mit dem gesammelten Geld Terrorgruppen in Krisengebieten unterstützen. So gebe es die gesicherte Erkenntnis, dass 2014 neun Krankenwagen zur Unterstützung des IS bzw. der ehemaligen Al-Nusra-Front (jetzt Dschabhat) nach Syrien gebracht, dann aber bei der von der Bundesanwaltschaft als terroristische Vereinigung eingestuften Rebellenmiliz Ahrar al-Scham abgegeben wurden.

Vorbemerkung der Landesregierung

Der im Jahr 2012 in Düsseldorf gegründete Verein „Ansaar International“ unterstützt nach eigenen Angaben Hilfsprojekte für bedürftige Muslime weltweit und leistet insbesondere humanitäre Hilfe für die syrische Zivilbevölkerung.

Der Verein sammelt nach eigenen Angaben Spendengelder, um davon Hilfsgüter wie Lebensmittel, Medizin oder Krankenwagen zu kaufen und diese in die Krisengebiete zu bringen. Nach Aussage des Vereins unterhält „Ansaar International“ derzeit mehr als 20 Lebensmittellager in Syrien, welche regelmäßig durch deren Mitglieder aufgefüllt bzw. durch Verteilung an die Zivilbevölkerung umgeschlagen werden. Zudem betreibt „Ansaar International“ nach eigenen Angaben ein Krankenhaus in der Stadt Aleppo sowie ein Facharztzentrum in der Stadt Idlib.

Seine Spendengelder generiert „Ansaar International“ unter anderem durch sogenannte „Benefizveranstaltungen“ im gesamten Bundesgebiet und im benachbarten Ausland. Die zu diesen Benefizveranstaltungen eingeladenen Referenten, wie Pierre Vogel oder Sven Lau, sprechen durch ihr Wirken bereits deutlich für die intensive Einbindung des Vereins in die bundesweite und internationale salafistische Szene. Die genannten Akteure werden vom Verfassungsschutz beobachtet und sind in Teilen mit der terroristischen Szene in Deutschland sowie im Ausland verwoben.

Der Verein distanziert sich grundsätzlich vom sogenannten „Islamischen Staat“. Stattdessen scheint aber eine Nähe zur al-Qaida Regionalorganisation Dschabhat Fatah asch-Scham, ehemals Jabhat al-Nusra, zu bestehen. Darauf deuten die Zustimmung zur Befreiung „Idlibs“ und das Betreiben des Arztzentrums in Idlib hin, da Hilfeleistung in einem von einer jihadistischen Gruppierung kontrollierten Gebiet nach den Erkenntnissen der Niedersächsischen Sicherheitsbehörden nicht ohne die Zustimmung und das Einvernehmen der örtlichen Machthaber möglich ist.

Über das Wirken von „Ansaar International“ in Niedersachsen liegen der Landesregierung Erkenntnisse vor, dass am 08. Februar 2015 in den Räumlichkeiten der Deutschsprachigen Muslimischen Gemeinschaft (DMG) in Braunschweig die Veranstaltung „Ansaar Benefiz für Gaza/Syrien“ stattgefunden hat. Im Rahmen dieser Spendensammelveranstaltungen sind bekannte salafistische Prediger, wie Muhamed CIFTCI und Ahmad ARMIH (alias Abul Baraa) aufgetreten.

Darüber hinaus wurden durch polizeiliche Ermittlungen Bezüge von Einzelpersonen aus Niedersachsen zu „Ansaar International“ festgestellt.

Bei der Organisation „Helfen in Not“ handelt es sich um einen im Jahr 2013 in Neuss gegründeten Verein. Auch dieser Verein bezeichnet sich als Hilfsverein zur Unterstützung notleidender Muslime, vor allem der vom Bürgerkrieg betroffenen Menschen in Syrien. Im Namen des Vereins werden regelmäßig Hilfskonvois nach Syrien organisiert. Dabei werden durch Benefizveranstaltungen gesammelte Gelder und Güter, wie Krankenwagen, Medizin, Nahrung und Kleidung, auf dem Landweg in die türkisch-syrische Grenzregion transportiert. Dies geschieht unter Einbindung von Personen aus dem salafistischen Spektrum. Die Feststellung, ob die Zielrichtung eines Konvois die humanitäre Hilfe oder aber eine jihadistische Unterstützung beinhaltet, ist im Einzelfall nur schwer möglich. Auch die genauen Reiserouten und Endpunkte der Konvois sind kaum aufklärbar, sodass offen bleiben muss, ob sie Syrien/ Irak überhaupt erreicht haben. Unter den niedersächsischen Ausgereisten befinden sich zwölf Personen, die an Hilfskonvois in Richtung Syrien teilgenommen haben. Ein Großteil dieser Hilfskonvoiteilnehmer steht in Bezug zu dem salafistischen Brennpunkt Hildesheim. Allerdings kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, ob hinter jedem der Konvois der Verein „Helfen in Not“ steht.

Darüber hinaus liegen der Niedersächsischen Landesregierung Erkenntnisse vor, dass einzelne Personen sowohl aus dem Umfeld, als auch aus dem Vorstand des Deutschsprachigen Islamkreis (DIK) Hildesheim Verbindungen zu „Helfen in Not e.V.“ unterhalten. Des Weiteren ist ein Aufruf im Internet zur Unterstützung von „Helfen in Not“ des Braunschweiger Imams Muhamed CIFTCI bekannt.

1. Bleibt die Landesregierung bei ihrer Haltung, dass keinerlei belegbare Informationen darüber vorliegen, dass die Vereine „Helfen in Not e. V.“ und „Ansaar International e. V.“ mit der Terrororganisation „Islamischer Staat“ kooperieren, zur Radikalisierung junger Muslime in Deutschland beitragen und neue Kämpfer für Syrien rekrutieren?

Bezugnehmend auf die Vorbemerkung liegen dem Bundesamt für Verfassungsschutz keine weitergehenden belegbaren Erkenntnisse vor, dass die Vereine „Ansaar International“ und „Helfen in Not“ mit dem sogenannten „Islamischen Staat“ kooperieren, junge Muslime in Deutschland radikalisieren und neue Kämpfer für Syrien rekrutieren.

Gleichwohl ist davon auszugehen, dass diese Vereine die von ihnen veranstalteten Spendensammelveranstaltungen dazu nutzen, weitere Anhänger für ihre Zwecke zu werben. Die auf den Benefizgalas auftretenden salafistischen Prediger stellen die Situation in den Kriegsgebieten in Syrien und Irak sehr emotional und in Bezug auf die jihadistischen Terrororga-nisationen teilweise einseitig dar. Dies kann weitere Personen von der salafistischen Ideologie überzeugen und eine Radikalisierung innerhalb der Szene fördern. Deshalb stehen solche Veranstaltungen bundesweit im Fokus der Sicherheitsbehörden.

2. Liegen nach Auffassung der Landesregierung die Voraussetzungen für eine Steuerbegünstigung der beiden Vereine vor?

Wie in der Vorbemerkung erwähnt, haben beide Vereine ihren Sitz in Nordrhein-Westfalen. Nach den Regelungen über die örtliche Zuständigkeit der Finanzbehörden dürfte für die Besteuerung der beiden Vereine daher jeweils ein Finanzamt in Nordrhein-Westfalen zuständig sein. Bereits aus diesem Grund liegen dem Finanzministerium aus dem Besteuerungsverfahren keine Erkenntnisse über die persönlichen, wirtschaftlichen, rechtlichen oder sonstigen Verhältnisse der beiden Vereine vor. Im Übrigen wäre das Finanzministerium diesbezüglich nach § 30 der Abgabenordnung (AO) zur Wahrung des Steuergeheimnisses verpflichtet. Insoweit wird auf die Antwort der Landesregierung vom 18.11.2014 (Drs. 17/2375) auf die Kleine Anfrage zum Thema „Rekrutieren humanitäre Hilfsorganisationen in Niedersachsen Terrorkämpfer für den „Islamischen Staat“?“ (Drs. 17/1996) verwiesen.

In dieser Antwort wurde ausgeführt, dass § 51 Abs. 3 Satz 1 AO sogenannte extremistische Körperschaften von der Steuerbegünstigung für Körperschaften, die ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke (steuerbegünstigte Zwecke) verfolgen, ausschließt. Voraussetzung für die Steuerbegünstigung ist danach, dass die Körperschaft weder nach ihrer Satzung noch ihrer tatsächlichen Geschäftsführung Bestrebungen i. S. d. § 4 des Bundesverfassungsschutzgesetzes verfolgt und auch nicht dem Gedanken der Völkerverständigung zuwider handelt. Wird eine Körperschaft in einem Verfassungsschutzbericht des Bundes oder eines Landes ausdrücklich als extremistische Organisation aufgeführt, ist nach § 53 Abs. 3 Satz 2 AO widerlegbar davon auszugehen, dass die Voraussetzungen für die Steuerbegünstigung nicht vorliegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (Urteil vom 11.04.2012, I R 11/11, BStBl. 2013 II, 146) reicht es für diese Beweislastumkehr allerdings noch nicht aus, dass die Körperschaft im Verfassungsschutzbericht nur als Verdachtsfall oder sonst beiläufig Erwähnung findet. In einem solchen Verdachtsfall muss das zuständige Finanzamt weitergehende Ermittlungen zur Prüfung des § 51 Abs. 3 Satz 1 AO vornehmen.

Seit 2014 enthalten die Verfassungsschutzberichte des Landes Nordrhein-Westfalen eine Liste der im Verfassungsschutzbericht erwähnten Organisationen und Bestrebungen. Bei den in dieser Liste aufgeführten Organisationen liegen dem Verfassungsschutz tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht einer verfassungsfeindlichen Bestrebung vor. Ausweislich der Erläuterungen im Verfassungsschutzbericht ist hierfür nicht Voraussetzung, dass sich Verdachtsmomente bereits bis zur Einschätzung als „verfassungsfeindlich“ verdichtet haben. Es gibt vielmehr eine besondere Kennzeichnung in der Liste für Organisationen, bei denen dem Verfassungsschutz darüber hinaus gewichtige Anhaltspunkte für die Annahme der Verfassungsfeindlichkeit vorliegen. Demnach liegen dem Verfassungsschutz des Landes Nordrhein-Westfalen hinsichtlich beider Vereine offenbar keine gewichtigen Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen vor. Allein aufgrund der Erwähnung im Verfassungsschutzbericht oder der Berichterstattung in den Medien kann das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Steuerbegünstigung beider Vereine somit nicht beurteilt werden.“

3. Welche Möglichkeiten sieht die Landesregierung, um mit den Mitteln des Steuerrechts die Aktivitäten der Spendensammelvereine zu stoppen oder zumindest einzuschränken?

Die Aufgabe der Finanzbehörden besteht darin, die Steuern nach Maßgabe der Gesetze gleichmäßig festzusetzen und zu erheben (§ 85 AO). Dabei entscheiden die Finanzbehörden auch über das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Steuerbegünstigung. Die Körperschaften, die ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche und damit steuerbegünstigte Zwecke verfolgen, erhalten verschiedene Steuervergünstigungen (z.B. Körperschaft- und Gewerbesteuerbefreiung von Gewinnen mit Ausnahme von steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben, Umsatzsteuerbefreiung für bestimmte Umsätze gemeinnütziger Körperschaften und grundsätzliche Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf Umsätze, die nicht dem steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb zuzurechnen sind, sowie der Empfang steuerbegünstigter Spenden).

Spenden und Mitgliedsbeiträge an steuerbegünstigte Körperschaften sind nach § 10b des Einkommensteuergesetzes (EStG) im Rahmen von Höchstbeträgen als Sonderausgaben steuerlich abziehbar. Stellt eine nicht steuerbegünstigte (privatrechtliche) Körperschaft vorsätzlich oder grob fahrlässig Zuwendungsbestätigungen über Spenden und Mitgliedsbeiträge i. S. d. § 10b EStG aus, so haftet diese nach § 10b Abs. 4 EStG für die entgangene Steuer. Weitergehende Sanktionen gegen nicht steuerbegünstigte Körperschaften – auch im Zusammenhang mit „Spendensammelvereinen“ – sieht das Steuerrecht nicht vor.

Die Finanzbehörden sind gem. § 51 Abs. 3 S. 3 AO jedoch befugt und verpflichtet, den Verfassungsschutzbehörden Tatsachen, die den Verdacht von Bestrebungen im Sinne des § 4 Bundesverfassungsschutzgesetzes oder des Zuwiderhandelns gegen den Gedanken der Völkerverständigung begründen, mitzuteilen.

Artikel-Informationen

erstellt am:
24.11.2016

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